Nach Aussetzen der Wehrpflicht läuft nicht alles perfekt. Aber der Schritt war richtig.

Wenn in Deutschland etwas verändert werden soll, ist schnell das Vaterland in Gefahr. Zumindest in den Reden notorischer Mahner und Pessimisten, unermüdlicher Lobbyisten oder Vertretern der Fraktion "Das haben wir noch nie so gemacht". Das konnte bei so elementaren Veränderungen wie der Aussetzung von Wehr- und Zivildienst nicht anders sein. In den düstersten Szenarien drohten Alte und Kranke, hilflos unter den Brücken zu enden und wandelte sich die Bundeswehr zu einer Kaste von Berufskriegern mit tendenziell abnehmender Intelligenz.

Nach gut 100 Tagen kann eine kurze Bilanz des Wandels gezogen werden. Und die sieht so aus, dass es zwar wie bei jedem Neustart an mancher Ecke klemmt und noch nicht ganz rundläuft. Die Bundesrepublik Deutschland wird aber auch künftig ein Staat sein, in dem Kranke und Gebrechliche gepflegt und versorgt werden. Dass es hier noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, ist unbestritten. Nur sei daran erinnert, dass auch zu den alten Zivildienstzeiten nicht alles perfekt war. Wichtiger als die Entscheidung zwischen grundgesetzlichem Zwangsdienst oder freiwilliger Verpflichtung ist nämlich die gesellschaftliche Wertschätzung, die wir gegenüber sozialen Berufen aufzubringen bereit sind. Neben der Organisationsform von Hilfsdiensten geht es dabei vor allem um die Bezahlung und Arbeitsbelastung von Pflege- und medizinischem Personal. Als wohlhabende Industrienation haben wir es uns viel zu lange zu einfach gemacht und auf ebenso schlecht bezahlte wie ausgebildete Zivis gesetzt.

Auch bei der Bundeswehr wird einiges vom Kopf auf die Füße gestellt. Eine Anpassung von Struktur und Personal an die neuen Aufgaben in internationalen Einsätzen war längst überfällig. Da für den Auslandseinsatz auch bisher schon nur Freiwillige infrage kamen, ist eine Umstellung auf eine Berufsarmee folgerichtig. Die Gefahr, dass diese zum Staat im Staate mutiert, wie Kritiker mit Verweis auf die 20er-Jahre unken, ist heute nicht nur weitaus geringer als damals. Es kommt auch hier vor allem auf die gesellschaftliche Wertschätzung an, die einer Berufsgruppe gezollt wird, die im Zweifel mit ihrem Leben für die Gemeinschaft einsteht. Der Austausch zwischen ziviler Welt und Truppe kann auch anders als durch die Wehrpflicht organisiert werden. Und bisher zeichnet sich auch nicht ab, dass sich nur junge Menschen für einen militärischen Beruf interessieren, die sonst auf dem Arbeitsmarkt nur geringe Chancen hätten.

Die Umstellung hält für den jetzigen und für kommende Verteidigungsminister noch jede Menge unangenehmer Aufgaben bereit. Standorte müssen geschlossen werden, weil die Hauptaufgabe der Bundeswehr nicht mehr darin bestehen kann, in strukturschwachen Gegenden Arbeitsplätze zu sichern. In der Truppe selbst gibt es noch ein deutliches Überangebot an Generälen und an Einheiten, die für den Auslandseinsatz gar nicht geeignet sind. Während Deutschland derzeit nur 7000 Soldaten gleichzeitig ins Ausland schicken könne, sind es bei den Briten 22 000 und bei den Franzosen 30 000. Dafür wenden wir mit 5,16 Millionen Euro pro Soldat und Jahr dreimal so viel wie der EU-Durchschnitt auf. Da gibt es also noch deutliche Effizienzreserven.

Dem für die Aussetzung der Wehrpflicht verantwortlichen damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg könnte nun vorgeworfen werden, eine Großreform nicht bis ins letzte Detail durchgeplant und ausdiskutiert zu haben. Aber ohne sein Hauruckverfahren würde der Wandel möglicherweise noch jahrzehntelang in Debattenrunden und Arbeitskreisen entscheidungsfrei ventiliert werden. Und Stillstand würde das Vaterland viel eher in Gefahr bringen, als das Anpacken notwendig gewordener Veränderungen.