Der CDU-Vizevorsitzende Volker Bouffier spricht im Abendblatt-Interview über den Kurs der Union und die Aufgaben der Bundeskanzlerin.

Wiesbaden. Er gilt als letzter echter Konservativer in der CDU-Spitze. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier drängt die schwarz-gelbe Bundesregierung zum Handeln - und mahnt seine Partei, ihre Stammwähler zu pflegen.

Hamburger Abendblatt: Herr Bouffier, Ihre Partei pendelt sich in den Umfragen am enttäuschenden Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl ein. Muss sich die Union mit 30 Prozent plus x zufriedengeben?

Volker Bouffier: Ganz klar nein. Die Union ist die letzte Volkspartei. 40 Prozent plus x muss unser Ziel sein.

Wie kann die CDU an die Erfolge der Kohl-Ära anknüpfen?

Bouffier: Grundaufgabe einer Volkspartei ist es, Stammwähler und neue Wähler gleichermaßen zu überzeugen. Gerade in Zeiten grundstürzender Ereignisse wie der Reaktorkatastrophe von Fukushima oder der Schuldenkrise in der Euro-Zone muss die Linie erkennbar sein. Wir müssen uns besonders anstrengen, unsere Politik zu erklären. Das ist eine Aufgabe, die wir alle in der Parteiführung haben - an erster Stelle wird die Bundesvorsitzende Angela Merkel das machen.

Merkel bemüht sich, die CDU auch als Großstadtpartei zu etablieren.

Bouffier: Wir müssen immer versuchen, neue Wählerschichten zu erschließen. Wir dürfen aber die alten nicht vernachlässigen.

Günther Oettinger hat seine Partei von Brüssel aus davor gewarnt, den Rückwärtsgang einzulegen. Mit den Programmen der Achtziger- und Neunzigerjahre verliere die Union ihre Mehrheitsfähigkeit ...

Bouffier: Wir dürfen uns nicht einreden lassen, dass wir alles verbrennen müssen, was früher richtig war. Das ist kein Erfolgsrezept. Es gibt Dinge, die bleiben, und andere, die geändert werden müssen. Die Bürger müssen aber erkennen, was die Grundlage für unser Handeln ist. Das kann nicht völlig beliebig sein. Mit unserem Grundsatzprogramm, das wir vor nicht allzu langer Zeit verabschiedet haben, sind wir gut gerüstet für die Zukunft!

Wie konservativ muss die CDU sein?

Bouffier: Es gilt der alte Satz von Franz Josef Strauß: Der wahre Konservative marschiert an der Spitze des Fortschritts. Das heißt im Klartext: Was sich bewährt hat, behalten wir. Und was neu hinzutritt, messen wir daran, ob es besser ist als das, was wir bisher gesehen haben.

Was bedeutet das konkret - etwa in der Bildungspolitik: Lohnt es sich, die Hauptschule zu retten?

Bouffier: Die Bildungsdebatte ist völlig verkorkst. Wir müssen über die Hauptschüler diskutieren - und nicht über die Hauptschule. Eine Debatte über Schulformen ist töricht.

Worauf wollen Sie hinaus?

Bouffier: Der Ansatz der CDU muss sein: Wir zwängen nicht alle Schüler in ein System, sondern machen jedem ein passendes Angebot; wir sind für Vielfalt und gegen die Einheitsschule. In Hessen haben wir jetzt die Mittelstufenschule eingeführt - mit zwei Ausgängen: einen Realschulabschluss und einen sehr berufsorientierten Hauptschulabschluss. Den brauchen wir, wenn wir den Fachkräftemangel auffangen wollen.

Bundesbildungsministerin Schavan sieht das anders ...

Bouffier: Bildung ist Ländersache. Die Länder werden den Weg gehen, den sie für richtig halten. Wir werden ein vielgliedriges Schulgesetz beibehalten, und dort, wo die Hauptschule sich bewährt hat, wird sie auch bleiben.

Ihr Vertrauter, Hessens CDU-Fraktionschef Christean Wagner, fordert einen "Grundsatzparteitag über Programm und Profil". Ist das der Weg zum Erfolg?

Bouffier: Einen Sonderparteitag halte ich nicht für erforderlich. Wir haben einen Bundesparteitag im November, der sich hervorragend eignet, alle wichtigen Fragen anzusprechen. Bildung wird nicht das einzige Thema sein. Ich bin sicher, dass Frau Merkel dem Verlangen der Bürger nachkommen wird, unsere Politik zu erklären und die großen Linien aufzuzeigen. Ich werde sie dabei tatkräftig unterstützen.

Was kennzeichnet Merkels Führungsstil?

Bouffier: Im Präsidium pflegt sie eine intensive Diskussion. Den Vorwurf, Frau Merkel lasse andere Meinungen nicht zur Geltung kommen, halte ich für ungerechtfertigt. Und sie kann mutig entscheiden, wie sie in der ersten Finanzkrise bewiesen hat.

Zurzeit ist von der Parteivorsitzenden nichts zu hören. Welches Signal sollte sie nach dem Urlaub senden?

Bouffier: Frau Merkel wird sehr intensiv zeigen, dass sie die Partei führt. Sie wird Antworten geben auf die Fragen der Bürger. Und was die Bundesregierung angeht: Wir müssen wieder einen Herbst der Entscheidungen haben. Die Menschen wollen Entscheidungen. Was nicht geht, ist Dauerstreit ohne Ergebnis.

Was soll im Herbst alles entschieden werden?

Bouffier: Wir müssen eine Pflegereform hinbekommen, die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen und eine Lösung für die Betreuung von Sexualstraftätern finden. Außerdem müssen die Steuervorhaben, die wir versprochen haben, von 2013 an wirksam werden. Auf diesen Feldern kann die schwarz-gelbe Regierung zeigen, dass sie die Kraft zur Entscheidung hat.

Heiner Geißler sagt, das Problem der CDU sei die FDP. Mehr als ein Bonmot?

Bouffier: Sicherlich ein Bonmot. Es gilt: Der Partner ist immer auch Teil des eigenen Schicksals.

Sehen Sie Alternativen zu den Liberalen?

Bouffier: Wir haben eine überragende Mehrheit im Bundestag. Die gilt es vernünftig zu nutzen. Dann werden sich auch die Umfragezahlen wieder ändern.