Während Kanzlerin Angela Merkel Ferien macht, streiten Teile der CDU über den richtigen Kurs. Erwin Teufel sieht die Partei vor der “Überlebensfrage“.

Berlin. Die Kanzlerin reagiert nicht. Ausgerechnet jetzt ist die Chefin der Christdemokraten weit weg im Sommerurlaub. Angel Merkel wandert in den Dolomiten. Sie will abschalten, Ruhe finden. Sie hört nicht, wie laut es in der Heimat geworden ist um ihre CDU. Die Partei debattiert über den inhaltlichen Kurs, ihre Werte und Haltung in einem Jahr, in dem die CDU bisher von einer Wahlniederlage in die nächste stolperte. Es ist Sommer, Zeit zum Durchatmen und Luftholen, doch in der CDU rumort es seit Tagen.

Erwin Teufel ist der Stifter der Unruhe. Das Urgestein der CDU und früherer Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat einen Farbbeutel geschmissen. Er machte es anders als beim berühmten Wurf gegen den damaligen Grünen-Chef und Außenminister Joschka Fischer im Mai 1999. Die Grünen stritten auf einem Parteitag über ihre Haltung zum Krieg, als deutsche Soldaten an der Seite der Nato im Kosovo kämpfen sollten. Um die grünen Prinzipien wurde mit Leidenschaft gekämpft. Und mit Wut.

Erwin Teufel ist wütend. Aber er schmeißt keine rote Farbe in das Gesicht von Parteichefin Angela Merkel. Sein Farbbeutel ist verbal - eine Rede in Berlin vor der Seniorenunion, nachgedruckt in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Ihm geht es um die Haltung seiner Partei. Um die Werte einer konservativen Partei. Für ihn steht das "C" in der Christlich Demokratischen Union auf dem Spiel, er sieht die Partei jetzt vor der "Überlebensfrage".

Es sind wuchtige Worte eines Politpensionärs. Teufel ist längst ohne Macht, offiziell hat er in der Partei nichts mehr zu sagen. Dass seine Kritik am Kurs der CDU dennoch starke Reaktionen hervorruft, zeigt: Die Partei ist in ihrer Seele getroffen. Teufel spreche "vielen in unserer Partei aus dem Herzen", sagt Innenexperte Wolfgang Bosbach. Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs, beklagt das mangelnde Interesse der Parteispitze an der Wirtschaftspolitik.

Erwin Teufel schrie in den Wald der CDU hinein - und es schallte ihm ein ungeheures Echo zurück. Es sind Stimmen in einer Partei, die lechzten nach klarer Haltung und Prinzipien - in einer Zeit, in der die CDU nach blamablen Wahlergebnissen ihre Identität zwischen den Grünen und der FDP sucht. Eine Suche, bei der die Partei drohe, sich so zu verbiegen, dass aus dem "C" der CDU nur noch ein langer Strich ins Nichts wird. Das ist der Tenor der Kritiker um Teufel. Auch andere Elder Statesmen äußerten zuletzt Kritik an der Richtung der Merkel-CDU: Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe und Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Sie sehen ihre Partei abdriften ins Unberechenbare. In der Familienpolitik ist die CDU unter Merkel nach links gerückt, ihre Regierung schaffte die Wehrpflicht ab, man sagt klar "Nein" zum Einsatz in Libyen - und dann steigt die Merkel-Regierung auch noch aus der Atomkraft aus. Für den konservativen Stammwähler der Partei war es kein gutes Jahr.

Und schaut man sich die Ergebnisse der Landtagswahlen an, war es für die gesamte CDU bisher kein gutes Jahr. Nach der Pleite in Hamburg im Februar ging im März das Stammland Baden-Württemberg an die Grünen verloren. In Rheinland-Pfalz konnte die CDU den ewigen Kurt Beck nicht schlagen. In Bremen folgte im Mai die nächste Wahlniederlage: Die Grünen verdrängten die CDU auf den dritten Rang. Die CDU habe die "Bindungswirkung einer Volkspartei in den vergangen Jahren" verloren, kritisiert der Bremer Landeschef Thomas Röwekamp im Abendblatt. Die Partei müsse "das Lebensgefühl der Bürgerlichen in großen Städten" erreichen. Die Bildungspolitik und Integrationspolitik seien "schöne Beispiele dafür, wie die CDU Versäumnisse behebt und eigene Antworten findet", sagt der Landeschef Röwekamp.

Jahrzehntelang gab es in Deutschland einen politischen Naturzustand: Die CDU war die etablierte, meist siegreiche Volkspartei. Doch sie erlebt eine Erosion in ihrem lange geschützten Wählerreservoir. Das Jagdrevier um bürgerliche Stimmen wird grüner. Und der Ort, an dem dieser Naturzustand ins Wanken gerät, ist vor allem die Großstadt. Nicht wenige in der Partei sehen die CDU zumindest in den Metropolen Deutschlands unausweichlich auf dem Weg zur 20-Prozent-Partei.

Genau dort, im diffusen Milieu der großen Stadt, will eine Gruppe von CDU-Bundestagsabgeordneten den Erosionsprozess aufhalten. Derzeit befindet sich ein informeller Kreis von Parlamentariern in der Gründung. Ihr Ziel ist nicht die Teufel-CDU, sie beklagen keinen Werteverfall bis zur Unkenntlichkeit, sie erkennen die Identitätskrise der Union - und stimmen doch nicht in den Kanon der Elder Statesmen ein. Die Gruppe der Abgeordneten hat ein anderes Ziel: ein Großstadtprofil für die CDU. Initiator des Kreises ist der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer. Er sagt: "Die CDU muss auf die Situation in den Metropolen mit anderen Ideen reagieren als auf dem Land." Man wolle mit den CDU-Bundestagsabgeordneten aus Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern ins Gespräch darüber kommen, wie man sich besser aufstellen könne.

Der Gesprächsbedarf könnte bald durch eine unschöne Erfahrung noch größer sein. Am 18. September steht die Abgeordnetenhauswahl in Berlin an - und die Hauptstadt-CDU fürchtet das nächste Desaster. Ihr droht die Wiederholung des Bremer Ergebnisses - Platz drei hinter SPD und Grünen. Für den Großstadt-Kreis der CDU-Abgeordneten wird es nach Worten Zimmers auch um die Frage gehen: "Wie können die Wahlkämpfe der CDU in den Großstädten aussehen?" Über Strategien hält sich der Initiator der Runde bedeckt.

Auch der Hamburger CDU-Landeschef und Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg gehört zu dem Kreis. "Wir müssen unsere traditionellen Kernkompetenzen - Wirtschaft, Familie, Finanzen, Sicherheit - mit den neuen Herausforderungen wie dem demografischen Wandel und der Integration kombinieren", sagte er dem Abendblatt. Das sei der CDU Hamburg mit Ole von Beust gelungen. Die Partei könne in Großstädten mit traditionellen Werten und moderner Politikausrichtung siegen, so Weinberg. "Wir können momentan durchaus eine konservative Bewegung feststellen, die auch klar konservative Positionen einfordert", sagt er. Weinberg meint konservative Bewegungen in den Metropolen. Seine Worte treffen auch den Zustand in der CDU.