Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossene Sache. Bis 2022 sollen alle Kernkraftwerke abgeschaltet sein, entschied das Bundeskabinett. Nun muss der Bundesrat zustimmen.

Berlin. Das Bundeskabinett hat den stufenweisen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie bis zum Jahr 2022 beschlossen. Das neue Gesetz sieht vor, dass die acht bereits abgeschalteten Meiler stillgelegt werden und die verbleibenden neun Reaktoren bis 2022 stufenweise vom Netz gehen. Es soll bereits am 8. Juli im Bundesrat endgültig verabschiedet werden.

An den Plänen gab es auch innerhalb der Koalition Kritik: Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz sagte dem "Focus": "Der schnelle Atomausstieg ist eine der verhängnisvollsten Fehlentscheidungen, die es in der bundesdeutschen Politik seit 1949 gegeben hat." FDP-Vize Holger Zastrow erklärte: "Der übereilte Ausstiegsbeschluss ist ein Fall von Planwirtschaft."

FDP-Fraktionschef Brüderle nannte das Ziel, bis 2022 aus der Kernenergie auszusteigen, ambitioniert. Entscheidend sei, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit im Blick zu behalten. "Mit dem von der Koalition nun vereinbarten Stufenplan ist das gewährleistet", so Brüderle. Der Kraftwerksbau und der Netzausbau müssten dringend beschleunigt werden, forderte er zudem. "Hier brauchen wir jetzt eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung wie nach der deutschen Einheit."

Die Grünen wollen bei einem Sonderparteitag Ende Juni über ihre Zustimmung entscheiden. Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: "Ob das geänderte Paket einen breiten Konsens finden kann, kommt auf die Details der endgültigen Gesetzesentwürfe an." Parteichefin Claudia Roth bekräftigte im "Tagesspiegel am Sonntag", dass ein Atomausstieg auch bis 2017 "machbar und möglich" sei. Die Anti-"Atom"-Gruppierung "Ausgestrahlt" warnte die Grünen, mit einer Zustimmung zum Ausstiegsplan "die Gemeinsamkeit" aufs Spiel zu setzen.

Auch die SPD hält sich nach Worten von Parteichef Sigmar Gabriel eine Zustimmung offen. "Wir werden keinem Gesetz zustimmen, das die Industrieproduktion in Deutschland und damit sichere Arbeitsplätze gefährdet", sagte er dem "Spiegel". Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, forderte einen bundesweiten Volksentscheid über die Verankerung des "Atom"-Ausstiegs im Grundgesetz. "Wir wollen, dass eine Anti-"Atom"-Klausel ins Grundgesetz kommt, andere Parteien auch. Dafür sollte es einen ersten bundesweiten Volksentscheid geben", sagte er dem Abendblatt. Die Energiewende sei ein guter Anlass, um mehr direkte Demokratie zu wagen."

Das Atom- und Energiepaket beinhaltet insgesamt elf Gesetze, Eckpunkte und Vorlagen. Die wichtigsten Maßnahmen:

ATOMAUSSTIEG: Die acht bereits stillstehenden Atomkraftwerke bleiben vom Netz, die Bundesnetzagentur soll aber bis September entscheiden, ob eines davon für den Fall von Stromengpässen bis 2013 in Bereitschaft bleibt. Die Reihenfolge der Abschaltungen der neun verbleibenden Meiler: 2015 Grafenrheinfeld, 2017 Gundremmingen B, 2019 Philippsburg II, 2021 Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C, 2022 Isar II, Neckarwestheim II und Emsland. Aus rechtlichen Gründen sollen von stillgelegten AKW Stromproduktionsgenehmigungen auf neuere Meiler übertragen werden dürfen.

ATOMSTEUER: Die Steuer auf neue Brennelemente bleibt bis 2016, sie bringt bei neun AKW nur noch 1,3 statt 2,3 Milliarden Euro jährlich. Pro AKW und Jahr müssen die Betreiber etwa 150 Millionen Euro zahlen.

ATOMMÜLL-ENDLAGER: Bis Jahresende soll es eine gesetzliche Regelung geben. Neben der Erkundung des Salzstocks in Gorleben, die bereits rund 1,5 Milliarden Euro gekostet hat, sollen weitere geologische Untersuchungen gemacht werden – womöglich bundesweit. Neben Salz könnten auch Tongesteine und mit Abstrichen Granit für hoch radioaktive Abfälle geeignet sein. Die Zeit drängt: Schon jetzt ist nicht vor 2030 mit einem Endlager zu rechnen.

KRAFTWERKSNEUBAU: Mit einem Beschleunigungsprogramm sollen Kapazitäten von bis zu zehn Gigawatt gebaut werden, um den Wegfall der Atomkraftwerke aufzufangen. Unter anderem soll es mehr Gaskraftwerke geben.

ENERGIESPARENDE GEBÄUDESANIERUNG: Die Regierung will das Förderprogramm mit zinsgünstigen Krediten auf 1,5 Milliarden Euro ab 2012 aufstocken. Zudem sollen wahrscheinlich ab 2013 jährlich zehn Prozent der Sanierungskosten von der Steuer abgesetzt werden können. Mieter sollen während dieser Sanierungen nicht mehr die Miete kürzen können; bis zu elf Prozent der Kosten können auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden – diese beiden Punkte müssen aber noch in einer Mietrechtsreform fixiert werden.

STROMNETZAUSBAU: Bis 2020 müssen bis zu 4450 Kilometer neue Stromautobahnen gebaut werden. Der Bund will die Bau- und Planungszeiten von gut zehn auf vier Jahre verkürzen und dazu mit einem Beschleunigungsgesetz Kompetenzen der Länder an sich ziehen.

ÖKOENERGIEFÖRDERUNG: Die Regierung will, dass die Ökoenergien schneller marktfähig werden und daher die Subventionen langsam zurückfahren. 2011 sind es rund 13 Milliarden Euro nur an Förderung, die die Verbraucher über den Strompreis mitzahlen. Die Vergütungen für Solarstrom sollen um bis zu 24 Prozent bis 2012 sinken. Für Windstrom an Land soll es 1,5 Prozent weniger geben, derzeit gibt es 9 Cent pro Kilowattstunde Anfangsvergütung. Für die bisher kaum vorhandene Windkraft auf See soll die Vergütung um zwei auf 15 Cent steigen – garantiert für zwölf Jahre.

FONDS FÜR ÖKOENERGIEN: Er wird neu aufgestellt, da die Zahlungen der Konzerne wegen der Rücknahme der Laufzeitverlängerung entfallen. Nun soll das Geld aus dem Verkauf von CO2-Verschmutzungsrechten komplett hineinfließen. Die Regierung erwartet ab 2013, wenn der Zertifikate-Handel voll startet, jährlich bis 3,3 Milliarden Euro.

WINDKRAFTAUSBAU: In allen Ländern soll es einheitliche Kriterien für Höhengrenzen und die Ausweisung geeigneter Flächen geben. Geplant ist der Austausch älterer Windräder durch leistungsstärkere. Genehmigungsverfahren für den Ausbau auf See werden beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie gebündelt.

ENERGIEINTENSIVE INDUSTRIE: Sie soll nicht übermäßig belastet werden. Für rund 4000 mittelständische Betriebe soll es einen Ausgleich im Umfang von insgesamt einer halben Milliarde Euro geben.