Mehr Geld, härtere Strafen und eine abgestimmte Wirtschaftspolitik – mit diesen Schritten will die EU neue Schuldenkrisen verhindern.

Brüssel/Lissabon. Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen am Donnerstag in Brüssel weitreichende Reformen für den Euro. Allerdings blieb die von Deutschland geforderte Nachbesserung beim neuen Rettungsschirm ESM zunächst noch offen. Beamte aus den 17 Euro-Ländern verhandelten am Abend über diesen Sonderwunsch. „Das halten wir aber eher für ein technisches Problem“, sagte ein Diplomat. „Das ist lösbar.“

Die Bundesregierung will erreichen, dass die Raten für die Bareinlage zeitlich gestreckt und gleichmäßiger verteilt werden. Der Beschluss gilt als historisch: Es ist die größte Reform seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999. Künftig wird der Rettungsschirm für pleitebedrohte Euro-Länder aufgestockt und dauerhaft aufgespannt. Dafür wird der EU-Vertrag entsprechend geändert.

Defizitsünder werden künftig strenger bestraft. Zudem wollen die 17 Euro-Länder ihre Wirtschaftspolitik abstimmen („Pakt für den Euro“). Das Ziel lautet, die Märkte zu beruhigen und neue Krisen wie in Griechenland oder Irland zu vermeiden. Allerdings überschattete die Krise Portugals, das wohl bald seine europäischen Partner um Notfallhilfe bitten muss, den Gipfel.

Rücktritt von Portugals Regierungschef belastet EU-Gipfel

Der Rücktritt von Portugals Regierungschef José Socrates und die damit verbundene Regierungskrise belastet den EU-Gipfel in Brüssel. Es besteht dennoch der Konsenz, dass an dem eingeschlagenen Weg festgehalten werden müsse. Dies machten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker deutlich und forderten das hoch verschuldete Land dementsprechend auf, nicht von den Plänen abzukehren. Eine Warnung gab es auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Laut Merkel kommt es jetzt darauf an, "dass alle deutlich machen, die für Portugal sprechen, dass Portugal sich dem Ziel dieses Programms verpflichtet fühlt.“ Dies sei nicht nur für Portugal wichtig, "sondern für die ganze Europäische Union“ sowie die Euro-Zone.

EU-Kommissionspräsident Barroso, der selbst aus Portugal stammt, mahnte, dass die Einsparungen in Portugal "unabdingbar“ seien und wichtig für das Vertrauen in die portugiesische Wirtschaft. Dagegen forderte Juncker weitere Haushaltsentlastungen von dem Land, um sein Staatsdefizit wie vereinbart zu senken.

Portugals Krise und der EU-Gipfel, der am Donnerstag beginnt, trafen zeitlich zusammen. Auf dem Gipfel soll ein Maßnahmenpaket zum Schutz des Euro beschlossen werden. Am Mittwoch war Socrates mit dem vierten Versuch ein Sparprogramm durchzusetzen vor dem portugiesischen Parlament gescheitert und hatte keine Zustimmung bekommen. Daraufhin war Socrates zurückgetreten. Nun droht den Euro-Ländern, dass Portugal ebenfalls Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm in Anspruch nehmen muss. Denn die Einsparungen der Minderheitsregierung in Lissabon sollte genau dies verhindern. Der Betrag der im Falle einer Hilfe im raum steht wird von einem EU-Diplomaten auf die Höhe von bis zu hundert Milliarden Euro nötig werden. Juncker bezeichnete eine Summe in Höhe von 75 Milliarden als "angemessen“.

Doch Portugals Regierung will dies aber mit jeder Macht verhindern. Wie der Sprecher der nun nur noch bis zu den Neuwahlen geschäftsführenden portugiesischen Regierung beteuerte: "Die Regierung wird kämpfen und weiter alles tun, was sie kann, um die Inanspruchnahme von externer Hilfe zu verhindern, da dies ernste Folgen für die Wirtschaft hätte.“

Der belgische Finanzminster Didier Reynders sagte, dass die Europäische Union bereit sei, dem südeuropäischen Land im Notfall zu helfen. Dafür müsse Portugal Pläne vorlegen, wie der öffentliche Haushalt saniert werden könne.

Merkel warb vor Beginn des Gipfels in einer Regierungsansprache im Bundestag für das Gesamtpaket zur Rettung und Stabilisierung des Euro, das auf dem Gipfel beschlossen werden sollte. Mit diesem Paket ziehe die EU die Lehren aus der Schuldenkrise. Zu dem Paket gehören die Ausstattung des Euro-Rettungsfonds, verschärfte Regeln zur Haushaltsdisziplin sowie ein Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

In Brüssel protestierten vor dem Gipfel bis zu 30.000 Menschen gegen die geplanten Beschlüsse. Der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit werde "die Gehälter und die sozialen Rechte gefährlich nach unten ziehen“, kritisierte der europäische Gewerkschaftsbund ETUC/CES. Am Rande der Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

WAS WURDE BESCHLOSSEN:

Der künftige Rettungsfonds (ESM)

Ab 2013 soll ein ständiger Krisenfonds über 700 Milliarden Euro im Notfall Kredite an Euro-Staaten vergeben. Die Euro-Länder geben Garantien über 620 Milliarden und zahlen 80 Milliarden Euro in bar ein. Deutschland muss knapp 22 Milliarden Euro in bar überweisen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte durch, dass die Raten länger gestreckt werden als geplant. Das Geld wird nun ab 2013 in fünf Jahresraten zu je rund 4,3 Milliarden Euro überwiesen. Die Bareinlage ist notwendig, da der Fonds sich für Hilfskredite selber Geld leiht und dafür möglichst geringe Zinsen zahlen soll. Von den 700 Milliarden kann der Fonds wegen nötiger Sicherheitsrücklagen 500 Milliarden einsetzen. Der Fonds darf dabei auch direkt Staatsanleihen von Euro-Ländern kaufen.

Verschärfter Stabilitätspakt

Künftig drohen Geldstrafen nicht nur bei einer zu hohen Neuverschuldung von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), sondern auch bei einem Gesamtschuldenstand von mehr als 60 Prozent des BIP. Wird ein Defizitverfahren eingeleitet, muss das Sünderland ein Pfand von 0,2 Prozent seines BIP hinterlegen. Befolgt es dann nicht Empfehlungen zur Behebung des Missstandes, wird das Pfand einkassiert und fließt an den Euro-Rettungsfonds. Zudem werden die Haushaltsplanungen der Mitgliedstaaten strenger kontrolliert.

Pakt für den Euro

Die 17 Euro-Länder wollen sich freiwillig in der Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik eng abstimmen. Dieser von Merkel angeregte Pakt soll die Euro-Zone wettbewerbsfähiger machen, ist jedoch offen für die übrigen EU-Länder. Mitmachen wollen auch Polen, Bulgarien, Dänemark, Rumänien, Litauen und Lettland. Jährlich werden nun Ziele zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit vereinbart. Bei der Haushaltspolitik wird etwa eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vorgeschlagen. Letztlich entscheiden aber die nationalen Regierungen über die Art der Umsetzung. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Die Öffentlichkeit, die Finanzmärkte sowie die anderen Staaten sollen den nötigen Druck ausüben.

OFFENE FRAGEN:

Der derzeitige Rettungsfonds

Der Fonds, EFSF im Expertenjargon, läuft noch bis Mitte 2013 und wird dann von dem ständigen Fonds abgelöst. Auch er vergibt Notkredite an hoch verschuldete Euro-Länder, als erstes Land nahm Irland die Hilfen in Anspruch. Bis zum Sommer soll nun noch geregelt werden, wie die tatsächliche Ausleihkraft durch weitere Garantien von rund 250 Milliarden Euro auf 440 Milliarden Euro erhöht werden kann – die finnische Regierung steht vor Neuwahlen und will im Moment keine weiteren Garantien vergeben. Bislang steht Deutschland bereits für rund 120 Milliarden Euro ein. Künftig kann der Fonds Euro-Ländern auch direkt Staatsanleihen abkaufen.

Portugal

Als nächstes Land könnte Portugal Hilfen aus dem Euro-Rettungsfonds beantragen. In Lissabon ist die Regierung über ein Sparpaket gestürzt, das genau dies verhindern sollte. Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit des Landes umgehend herab – damit wird es für Portugal noch schwerer, sich am Markt Geld zu leihen. Als mögliche Summe für Hilfen sind 75 Milliarden Euro im Gespräch.

Irland

Irland will bessere Bedingungen für die Rückzahlung seiner Notkredite wie geringere Zinsen. Doch damit stößt Dublin bislang auf Widerstand, da es nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Das könnte sich ändern, wenn Irland etwa seine umstrittene Unternehmensteuer anhebt. Der Satz von nur 12,5 Prozent ist vielen EU-Ländern ein Dorn im Auge, da er zahlreiche Unternehmen nach Irland gelockt hat.