Vor der Landtagswahl in Berlin stellen sich die Grünen personell neu auf. Bettina Jarasch und Daniel Wesener bilden die neue Landesspitze.

Berlin. Gut sechs Monate vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl haben sich die Grünen personell neu aufgestellt und inhaltlich für die politische Auseinandersetzung gerüstet. Bei einem Landesparteitag wählten sie am Wochenende Bettina Jarasch und Daniel Wesener gleichberechtigt an die neue Landesspitze. Außerdem wurde das 118 Seiten umfassende Wahlprogramm unter dem Motto „Eine Stadt für alle“ einstimmig beschlossen. Vorangegangen war eine intensive und teils kontroverse Debatte. Schwerpunkte sind Bildung, Arbeit und Klima. Jarasch und Wesener lösten Irma Franke-Dressler und Stefan Gelbhaar ab, die nicht mehr antraten. Die beiden neuen Landeschefs hatten keine Gegenkandidaten. Der 35 Jahre alte Wesener ist Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg. Er zählt sich selbst zum linken Parteiflügel. Die 42 Jahre alte Jarasch wird dem realpolitischen Lager zugerechnet.

Die Grünen wollen bei der Wahl am 18. September erstmals stärkste Kraft werden. Derzeit liegt die Partei Umfragen zufolge allerdings mit rund 23 Prozent sieben Prozentpunkte hinter der SPD zurück. Die Grünen haben in Berlin knapp 5.000 Mitglieder.

Spitzenkandidatin Renate Künast, die Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) herausfordert, schlug neue Töne in der Integrationspolitik an. Vor rund 150 Delegierten bezeichnete sie Zwangsheiraten und verminderte Chancen für Frauen in bestimmten Bevölkerungsgruppen als eine „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe. Zentrale Bestandteile für eine gelungene Integration seien Arbeit und Bildung. Allerdings müssten die Zuwanderer auch mittun. „Wir fordern von allen Migranten, dass sie sich anstrengen“, betonte Künast, die derzeit die Bundestagsfraktion führt.

Zahlreiche Delegierte kritisierten, dass sich die Grünen bei dem Thema bislang zu wenig bewegt hätten. Auch müsse wechselseitige Kritik ausgehalten werden. Ein Versuch der Landesarbeitsgemeinschaft Migration, die fordernden Passagen im Programmentwurf durch einen eigenen Text abzuschwächen, wurde mehrheitlich abgelehnt.

Mit scharfen Worten griff Künast den rot-roten Senat an. Sie attestierte Wowereit und seiner Mannschaft eine „dürftige“ Bilanz. Rot-Rot rede sich inzwischen nur noch „selber schön“. Künast betonte, die Partei habe sich mit dem Wahlprogramm breit aufgestellt und biete trotzdem Schärfe und Klarheit. Die Grünen wollten ein Klimaschutzgesetz und setzten auf die Förderung von Zukunftsbranchen wie Weiße Biotechnologie und Green Economy, um Jobs zu schaffen. Die Charité müsse zur „Chefsache“ werden. Insgesamt sieht die Partei Chancen für 100.000 neue, „zukunftsfeste“ Jobs.

Eine klare Absage erteilte Künast dem geplanten Weiterbau der Autobahn A 100. Sie kündigte an: „Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um dieses Projekt von vorgestern nicht Wirklichkeit werden zu lassen.“ Heftige Kritik übte die Politikerin darüber hinaus an der ihrer Meinung nach unzulänglichen Bildungspolitik. Verantwortlich sei vor allem die SPD, die das Ressort seit 1995 in der Stadt verwalte. Die bisherigen Reformen hätten bei Eltern, Kindern und Lehrern „ein tiefes Misstrauen“ ausgelöst. Sie seien verpufft, weil die Betroffenen nicht mitgenommen worden seien. Wichtig sei daher ein neuer Stil, sagte Künast und forderte einen „Berliner Schulkonsens“.

Fraktionschefin Ramona Pop warf dem Senat eine katastrophale Mietenpolitik vor. Wowereit lasse die Bürger mit steigenden Mieten allein. Pops Amtskollege Volker Ratzmann sprach sich für einen Großflughafen BBI mit „Interkontinentalverbindungen“ aus. Künast hatte vor Monaten mit Äußerungen zum BBI für Irritationen gesorgt. (Von Torsten Hilscher und Christina Schultze/dpa)