Fredrik Reinfeldt, der schwedische Ministerpräsident, spricht über die Energieversorgung der Zukunft und den Umsturz in Nordafrika.

Hamburg. In Deutschland werden die Laufzeiten der AKW verlängert, Schweden lässt sogar den Bau neuer Kernkraftwerke zu. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagt Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, warum er Atomenergie für so wichtig hält.

Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, Hamburg ist Umwelthauptstadt der EU. Sehen Sie die Deutschen als Vorreiter beim Klimaschutz?

Fredrik Reinfeldt: Ja, die Deutschen sind Pioniere - etwa beim Ausbau erneuerbarer Energien. Sie treiben auch die Bemühungen um ein globales Klimaabkommen voran. Wir arbeiten in diesen Fragen eng mit der Regierung von Angela Merkel zusammen. Für Schweden und für Deutschland gilt der Grundsatz: Wachstum muss nachhaltig sein.

Was unternehmen Sie privat, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu senken?

Reinfeldt: Ganz ehrlich: Als Premierminister führt man nicht das Leben, das man führen sollte. Wir fliegen zu viel und fahren größere Autos, als wir fahren sollten. Das hat Sicherheitsgründe. Aber mit meiner Familie benutze ich ein umweltfreundlicheres Auto, das wir vor ein paar Jahren gekauft haben. Außerdem trennen wir unseren Müll.

Ist die Kernkraft eine Ökoenergie?

Reinfeldt: Die Atomenergie verursacht keine CO2-Emissionen. Das macht sie interessant. Aber wir sehen die Kernkraft nicht als grüne Energie. Schließlich wirft der Umgang mit Atommüll viele Fragen auf. Die Kernenergie ist eine Übergangstechnologie. Wir brauchen sie, bis wir unseren Energieverbrauch mit Erneuerbaren decken können. So weit sind wir noch lange nicht. Daher halten wir es für den richtigen Weg, wieder stärker auf die Kernkraft zu setzen, um den Anteil fossiler Energien zu verringern.

In Deutschland werden die Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert. Welche Zukunft hat die Atomenergie in Europa?

Reinfeldt: Ich würde sagen: Die Atomkraft erlebt eine Renaissance. Eine Zeit lang dachte jeder, ihre Bedeutung nehme ab. Schweden hatte sich vorgenommen, bis 2010 aus der Atomenergie auszusteigen. Aber die Klimafrage und die Erkenntnis, dass sich die regenerativen Quellen langsamer entwickeln als erwartet, haben unsere Politik verändert. Wir erlauben den Bau neuer Kraftwerke, unter der Voraussetzung, dass ein bereits existierendes stillgelegt wird - und sind damit nicht allein. Das zeigt die Diskussion in Finnland oder in Großbritannien. Von China ganz zu schweigen.

Der schwedische Staatskonzern Vattenfall betreibt die Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel, die nach einer Pannenserie vom Netz genommen wurden. Können Sie für die Sicherheit der schwedischen Kraftwerke in Norddeutschland garantieren?

Reinfeldt: Ich kann garantieren, dass wir niemals Kompromisse bei der Sicherheit machen. Die Sicherheit kommt bei unseren Kernkraftwerken immer an erster Stelle.

Kein Land hat die Endlagerfrage für sich überzeugend beantwortet. Sollten die Europäer nach einer gemeinsamen Lösung suchen?

Reinfeldt: Jeder EU-Staat hat seinen eigenen Energiemix und sollte selbst die Verantwortung dafür übernehmen, in welchem Maß er auf Atomkraft setzt. Die Endlagerdiskussion sollte daher auf nationaler Ebene fortgeführt werden.

Welche Lösung streben Sie in Schweden an?

Reinfeldt: Die Diskussion läuft. Es könnte auf den Bau eines Endlagers in der Nähe existierender Kernkraftwerke hinauslaufen.

Herr Reinfeldt, der Umbruch in der arabischen Welt stellt die EU vor eine Bewährungsprobe. Handeln die Europäer entschlossen genug?

Reinfeldt: Die Entwicklung hat uns überrascht, wenn wir ehrlich sind. In der arabischen Welt ertönt ein Schrei nach Freiheit und Reformen - sogar nach Demokratie. Wir hoffen, dass wir eine Entwicklung erleben wie in Osteuropa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

In Libyen droht die Revolte in einen Völkermord zu münden ...

Reinfeldt: Die Brutalität, mit der das Regime gegen Demonstranten vorgeht, ist verstörend. Gaddafi lässt sein eigenes Volk töten, um sich an der Macht zu halten. Damit hat er jede Legitimität verspielt. Es besteht die Gefahr, dass die Entwicklung in Libyen außer Kontrolle gerät. Wir sind dabei, unsere Landsleute herauszuholen.

Viele Flüchtlinge erreichen Italien. Muss die Gemeinschaft Solidarität zeigen?

Reinfeldt: In erster Linie müssen wir versuchen, die Gewalt in den arabischen Staaten zu stoppen. Wenn der Flüchtlingsstrom anhält, wird die EU sicherlich über gegenseitige Hilfe beraten. Allerdings haben wir klare Regeln: Das EU-Land, in dem Flüchtlinge zuerst ankommen, ist für sie verantwortlich. Wir hoffen, dass sich in Nordafrika die Lage rasch verbessert. Dann können die Flüchtlinge zurückkehren.

Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, soll nach Schweden ausgeliefert werden. Muss er fürchten, dass ihm am Ende in den USA der Prozess gemacht wird?

Reinfeldt: Es sollte klar sein, dass es keinerlei politischen Einfluss auf das schwedische Rechtssystem gibt. Ich bin auch nicht bereit, das Verfahren gegen Assange zu bewerten. Es sind die nationalen Rechtssysteme, die ausgehend von den Regeln internationalen Rechts miteinander kommunizieren. Den Regeln internationalen Rechts haben wir alle zugestimmt.