Harter Drill und Schlafmangel hatten auf dem Marineschiff “Gorch Fock“ offenbar System. Eine Rekrutin spricht von unhaltbaren Zuständen.

Berlin. Das Segelschulschiff "Gorch Fock" steht seit Tagen unter verbalem Beschuss. Nun spricht eine ehemalige Rekrutin in einem Interview über unhaltbare Zustände an Bord des Ausbildungsschiffes der Deutschen Marine. Demnach sollen Drill, Einschüchterung und Schlafmangel offenbar System gehabt haben, sagte die Offizieranwärterin Maria S. (Name von der Redaktion geändert) am Sonntag in Berlin. Maria S. sagte: "Da wurde gebrüllt, da wurde gedrillt. Das war systematisches Schleifen wie in einem schlechten Film.“ Maria S. war in ihrer Ausbildungszeit an Bord als eine junge Kadettin im November durch einen Sturz aus der Takelage auf dem Schulschiff ums Leben gekommen war.

Selbst das Hinaufklettern auf die Masten sei nach den Worten von S. letztlich erzwungen worden. Die Soldatin sagte: "Wenn Aufentern befohlen ist, dann musst du in die Takelage. Alles andere ist Gehorsamsverweigerung.“ Weiter behauptet sie, dass die Kadetten von den Vorgesetzten systematisch unter Druck gesetzt worden seien: "Der Druck war ständig da. Es ist vom ersten Tag an klar: Wer nicht spurt, der fliegt. Zuerst nach Hause, dann aus der Offizierausbildung.“

Ebenfalls kritisiert wird von der Offizieranwärterin der Dienstablauf und die Zustände an Bord. Diese seien "vorsintflutlich“. Als Begründung gibt die Soldatin an, dass die Rekruten nicht nur in Hängematten schlafen und auf jegliche Privatsphäre verzichten müssten. Reinigungsarbeiten hätten sie zum Teil mit Zahnbürsten erledigen müssen. Zudem seien die Kadetten in der "Hackordnung“ an Bord das letzte Glied, sagte die junge Frau, die von "übertriebener Härte und Männlichkeitsgehabe“ auf dem Schiff sprach.

"Das größte Problem“ auf den Ausbildungsfahrten sei für die Offizieranwärter der Schlafmangel. Der fehlende Schlaf könne auch in Verbindung mit den letzten tödlichen Unfällen an Bord stehen, mutmaßte sie. Eine junge Marinesoldatin war 2008 bei ihrer Ausbildungsfahrt auf der "Gorch Fock“ gestorben. Sie war während der Wache an Deck von Bord gestürzt und ertrunken.

S. erzählt weiter, die Zustände auf dem Segelschulschiff seien vor allem für weibliche Offizieranwärter schwierig. Während der Fahrt habe es an sexuell "eindeutigen und übereindeutigen Angeboten wahrlich nicht gemangelt“, erzählte sie. "Manche Frauen haben das auch als bedrängend empfunden.“ Die Bark werde deshalb in Marinekreisen als "größter schwimmender Puff Deutschlands“ bezeichnet.

Zur Zeit befindet sich das Segelschulschiff "Gorch Fock“ in einem argentinischen Hafen, von wo aus die Bark inzwischen auf Anordnung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) umgehend in die Heimat zurückbeordert wurde. Die Vorfälle vom November sollen von einem Untersuchungsteam untersucht werden. Nach dem Todssturz war es zu Auseinandersetzungen zwischen Schiffsführung und Mannschaft gekommen, die mehreren Offizieranwärtern einen Meutereivorwurf einbrachte. Der Kommandant des Schulschiffes, Kapitän zur See Norbert Schatz, wurde inzwischen durch den Verteidigungsminister von seinem Posten entbunden. (abendblatt.de/dapd)

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Guttenberg lässt die gesamte Bundeswehr untersuchen

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) macht ernst. Nach der angeblichen Meuterei auf der "Gorch Fock“ und dem versehentlichen Todesschuss auf einen Soldaten in Afghanistan hat der Verteidigungsminister umfassende Untersuchungen in der gesamten Bundeswehr angeordnet. "Ich habe den Generalinspekteur beauftragt, eine Überprüfung in allen Teilstreitkräften vorzunehmen, inwieweit es in den letzten Jahren und auch jetzt noch Anhaltspunkte für Rituale gibt, die den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen“, sagte der Minister der "Bild am Sonntag“. Diese Untersuchungen sollen "zeitnah aufzuzeigen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben müssen“, so Guttenberg weiter.

Nach Berichten über eine angebliche Meuterei auf der "Gorch Fock“ infolge des Unfalltodes einer jungen Offiziersanwärterin hatte der Minister bereits zuvor den Kapitän des Segelschulschiffs, Norbert Schatz, des Kommandos enthoben. Der legendäre Dreimaster, der derzeit im Hafen von Ushuaia auf Feuerland liegt, soll nun so schnell wie möglich in seinen Heimathafen Kiel zurückkehren. Über seine Zukunft als Ausbildungsschiff soll noch beraten werden.

Bei den nun angeordneten Untersuchungen müsse auch geklärt werden, "ob es in Einzelfällen einen Zusammenhang zwischen Einsatzbelastung und Verstößen gegen Grundsätze der inneren Führung und Vorschriften gab, wie zum Beispiel den leichtfertigen Umgang mit Waffen“, sagte Guttenberg mit Blick auf den Fall in Afghanistan, wo ein Soldat einen Kameraden versehentlich erschossen hatte.

Der Minister widersprach Vorwürfen, sein Haus habe den Bundestag über die näheren Umstände des Todes des Soldaten am 17. Dezember bewusst unzureichend oder gar falsch informiert. "Wenn einige Abgeordnete aus der Tatsache, dass es in diesem Zusammenhang eine unvollständige Meldung gab, den Versuch einer Vertuschung konstruieren wollen, ist dies schlicht unanständig“, sagte der CSU-Politiker. Die Forderung von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, persönliche Fehler einzugestehen, wies Guttenberg zurück. Dafür "besteht jetzt kein Anlass“.

Nach "BamS“-Informationen reiste wenige Tage nach dem tragischen Unglücksfall eine Delegation von 15 Bundestagsabgeordneten aus Union, SPD, Grünen und FDP ins afghanische Masar-i-Scharif. Die Abgeordneten hätten mehrfach mit Soldaten sprechen können, die Detailkenntnisse von dem Todesschuss gehabt hätten. Dabei sei ihnen geschildert worden, dass der Soldat sich nicht selbst tödlich verletzt habe, sondern von einer Kugel aus der Waffe eines Kameraden versehentlich getötet worden sei. Auch die Vermutung, dass der Schuss sich bei einem spielerischen, regelwidrigen Umgang mit der Waffe löste, sei den Abgeordneten nicht verschwiegen worden.

Die Familie des getöteten Soldaten hat dem Bericht zufolge darum gebeten, von einer Strafverfolgung des Todesschützen abzusehen. Schütze und Opfer seien seit langem eng befreundet gewesen, ihre Familien seien es heute noch.

Auf der "Gorch Fock“ sollen Mitglieder der Stammbesetzung Kadetten drangsaliert haben, auch zu sexuellen Übergriffen soll es gekommen sein. Im November war eine 25-jährige Offiziersanwärterin aus der Takelage 27 Meter tief in den Tod gestürzt. Anschließend soll vier Auszubildenden, die nicht mehr in die Masten klettern wollten, Meuterei vorgeworfen worden sein, wie aus einem Bericht des Wehrbeauftragten hervorgeht.

Die Mutter der verunglückten Soldatin erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundeswehrführung. "Keiner erklärt mir, was genau passiert ist, als meine Tochter starb“, sagte sie dem "Focus“. Sie vermute, dass die wahren Gründe für den Tod ihrer Tochter "vertuscht“ worden seien. Dem Bericht zufolge hat die Frau Strafanzeige gegen die Bundesrepublik Deutschland erstattet.

Linkspartei-Chef Klaus Ernst brachte einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorfälle ins Gespräch. In Bezug auf die Absetzung von "Gorch Fock“-Kapitän Schatz sagte er, vom Verteidigungsminister sei kein "personelles Bauernopfer“ gefordert worden, sondern rückhaltlose Aufklärung. "Wenn jetzt nicht sofort alle Fakten auf den Tisch kommen, dann muss im Bundestag ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob die Vorfälle in der Bundeswehr nicht eingehender untersucht werden müssen“, sagte Ernst. Auf Nachfrage erklärte ein Parteisprecher, ein Untersuchungsausschuss sei "eine Option“. (dpa)