Verbraucherministerin Ilse Aigner wird den Makel des Missmanagements nicht los. Der Dioxin-Skandal erhitzte auch im Bundestag die Gemüter.

Berlin. Sie stemmt sich gegen die Panscher – und gegen die heftige Kritik an ihrem Krisenmanagement. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat sich auch im Bundestag gegen den Vorwurf gewehrt, bei der Bewältigung der Dioxin-Krise versagt zu haben. In einer Regierungserklärung sagte Aigner, sie habe erst die Quelle des gepanschten Futterfetts verstopft, dann die betroffenen Höfe ermittelt und schließlich die belasteten Lebensmittel zurückrufen lassen. „Das ist ein solides Vorgehen und das ist das Gegenteil von blindem Aktionismus“, sagte die Ministerin.

Dagegen beschuldigte der SPD-Agrarexperte Wilhem Priesmeier die „sehr geehrte Ankündigungsministerin“, sie habe nach dem Motto gehandelt: „Zaudern, zögern, ankündigen.“ SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf der schwarz-gelben Koalition vor, den Verbraucherschutz zu vernachlässigen. Bei der Koalition gebe es „Gift im Essen und Inkompetenz im Verbraucherministerium“. Beides müsse Aigner abstellen.

Die Hälfte der Deutschen ist unzufrieden mit der Arbeit von Verbraucherschutzministerin Aigner. Die CSU-Politikerin war wegen ihres Handelns im Dioxin-Skandal in die Kritik geraten. In einer Umfrage für den „Stern“ beurteilten 38 Prozent der Befragten die Leistung der Ministerin als „weniger gut“, 12 Prozent gaben ihr sogar das Zeugnis „schlecht“. Nur ein Drittel (33 Prozent) wertet sie als „gut“, unter ihnen vor allem Anhänger von Union und FDP.

Der Vizefraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, warf Aigner vor, sie habe erst zögerlich und dann überhastet reagiert. „Sie müssen zum Jagen getragen werden“, meinte Bartsch. Verbraucherpolitikerin Karin Binder, ebenfalls Linke, erklärte, die Ministerin sei die vergangenen drei Wochen nur um Selbstschutz bemüht gewesen. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, warf Schwarz-Gelb vor, den falschen Weg in der Agrarpolitik eingeschlagen zu haben. „Die ganze Welt soll mit deutschem Schweinefleisch beglückt werden“, kritisierte Höhn. Wegen des Preisdrucks auf die Futtermittelwirtschaft komme es immer wieder zu Skandalen.

Der CDU-Agrarexperte Peter Bleser sprach Aigner dagegen Lob für ihr besonnenes Vorgehen in der Krise aus. Sie habe „ruhig, entschlossen, zielstrebig“ gehandelt. Der Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Hans-Michael Goldmann (FDP), sagte, die Dioxin-Krise sei „ganz schlimm für die Bauern“. Der Eier- und der Schweinefleischmarkt seien eingebrochen. Alle Marktbeteiligten müssten sich jetzt um eine gemeinsame Lösung der Krise bemühen, mahnte Goldmann.

Aigner geht derweil von vorsätzlicher Panscherei aus. Das Agrarministerium in Hannover vermutet gar, dass schon viel länger Dioxin ins Futtermittel gemischt wurde. Die Verbraucher sollen künftig nach dem Willen der Bundesregierung besser vor Gift im Essen geschützt werden. Das Kabinett beschloss einen Aktionsplan für schärfere Kontrollen und harte Auflagen für Futtermittelfirmen. Der Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch aus Uetersen gilt als Auslöser des Skandals, weil er Futterfett und Industriefett vermischt hatte. Aigner sieht jedoch weiterhin keine akute Gesundheitsgefahr für Verbraucher.

Die Panscherei mit dioxinhaltigen Fetten in Tierfutter läuft nach Vermutung des niedersächsischen Agrarministeriums schon viel länger als seit März 2010. Der Dioxin-Skandal sei letztlich wohl eine Panne beim illegalen und systematischen Vermischen technischer Fette mit Futterfetten, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahn und bestätigte damit einen Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Praxis sei aufgeflogen, weil zu viel belastetes Fett untergemischt worden sei. Anders lasse sich nicht erklären, dass der Hersteller seine Fette so lange getestet habe, bis Dioxin-Grenzwerte unterschritten wurden.

Das Agrarministerium in Kiel hat darauf aber keine Hinweise. „Wir haben keine Erkenntnisse, die eine solche Aussage bestätigen könnten“, sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert der dpa. Die Verbraucherorganisation Foodwatch hält die Panscherei bei Futtermitteln für systembedingt. Das Vermischen belasteter und unbedenklicher Fette ist seit 2003 verboten.

Die Bundesregierung will schnell Konsequenzen zugunsten der Verbraucher ziehen. „Darauf können sie sich verlassen“, sagte Aigner. „Vieles wird noch in diesem Jahr geschehen.“ Das Kabinett beschloss einen Zehn-Punkte-Plan Aigners. Bund und Länder hatten sich auf 14 Punkte verständigt. Die Futtermittelkontrollen der Länder sollen verbessert werden. Der Bund soll an der Qualitätsüberprüfung der Kontrollen mitwirken. Geplant sind auch eine Meldepflicht von Futtermittelfirmen und Privatlaboren für Schadstoffe, härtere Strafen sowie eine Trennung von Futter- und Industriefett. Die Verbraucher sollen besser über Schadstoffe im Essen informiert werden.

Niedersachsens neuer Agrarminister Gert Lindemann (CDU) lehnte eine Agrarwende ab. Die Ursache des Skandals seien keine Systemfehler oder falsche Strukturen, sondern kriminelles Handeln. Der Deutsche Bauernverband forderte eine Entschädigungsregelung für verseuchte Futtermittel. „Wir wollen einen Rettungsschirm für die gesamte Branche“, sagte Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. In den Fonds sollten die Futtermittelhersteller einzahlen. „Die Preise für Rohstoffe sind extrem gestiegen“, sagte der Chef der Ernährungsindustrie BVE, Jürgen Abraham, der dpa. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderte vom Handel klare Entwarnung für Kunden. „Für uns ist wichtig, dass wir wieder sorgenfrei einkaufen können“, sagte Verbandschef Gerd Billen.