Ministerpräsident: „Zuschlag sollte so lange erhoben werden, bis Deutschland seine Schulden vollständig abgebaut hat“.

Hamburg. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) hat die Umwandlung des Solidaritätszuschlags Ost in einen so genannten Nachhaltigkeitszuschlag ins Gespräch gebracht. „Aus Solidarität mit den nachfolgenden Generationen sollte der Zuschlag so lange erhoben werden, bis Deutschland seine Schulden vollständig abgebaut hat“, sagte Böhmer gegenüber abendblatt.de. „Wir leben auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder. Wir haben die Verantwortung, ihnen keine Lasten zu hinterlassen, für die sie in 50 oder 60 Jahren noch Zinsen zahlen.“ Er schlage daher vor, „den Solidaritätszuschlag in Nachhaltigkeitszuschlag umzubenennen“.

Der Osten habe sein Ziel, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen, noch nicht erreicht, fügte Böhmer hinzu. Daher gebe es weiteren Aufbaubedarf. „Aber wir wollen nicht ewig Bittsteller beim Länderfinanzausgleich bleiben. Wir wollen dem Westen nicht dauernd zur Last fallen.“ Der Ministerpräsident attestierte den Ostdeutschen 20 Jahre nach der Einheit „zu wenig Selbstbewusstsein“. Böhmer: „Wir im Osten leiden darunter, dass wir eine höhere Arbeitslosigkeit haben und dass bei uns niedrigere Tariflöhne gezahlt werden als im Westen. Statt zu leiden könnten wir aber auch nach Osteuropa schauen. Dann würden wir feststellen, dass es uns in vielem besser geht.“

Die Kritik von Linksfraktionschef Gregor Gysi, das vereinigte Deutschland habe zu wenig Errungenschaften aus der DDR übernommen, kommentierte Böhmer spöttisch: „Bei der Wiedervereinigung gab es 16 Millionen DDR-Bürger, die gerade ihren Staat an die Wand gefahren hatten. Auf der anderen Seite standen 60 Millionen Bundesbürger, die auf ihr Wirtschaftssystem stolz sein konnten. Hätten sich die 60 Millionen von den 16 Millionen belehren lassen sollen?“

Das ganze Interview mit Wolfgang Böhmer

abendblatt.de: Sie sind in der DDR erwachsen geworden, haben lange als Arzt gearbeitet. Ist die deutsche Einheit vollendet?

Wolfgang Böhmer: Wann ist die Einheit vollendet? Unterschiede gibt es zwischen allen Regionen. Im Westen gibt es diese Diskussion gar nicht. Wir im Osten leiden darunter, dass wir eine höhere Arbeitslosigkeit haben und dass bei uns niedrigere Tariflöhne gezahlt werden als im Westen. Statt zu leiden könnten wir aber auch nach Osteuropa schauen. Dann würden wir feststellen, dass es uns in vielem besser geht.

Wird im Osten zu viel gejammert?

Es gibt bei uns zu wenig Selbstbewusstsein.

Gregor Gysi meint, es hätte Deutschland gut getan, mehr Errungenschaften aus der DDR zu übernehmen – etwa Kinderkrippen und Polikliniken. Stimmen Sie zu?

Gysi hat ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Bei der Wiedervereinigung gab es 16 Millionen DDR-Bürger, die gerade ihren Staat an die Wand gefahren hatten. Auf der anderen Seite standen 60 Millionen Bundesbürger, die auf ihr Wirtschaftssystem stolz sein konnten. Hätten sich die 60 Millionen von den 16 Millionen belehren lassen sollen? Ich würde Gysi verstehen, wenn die Westdeutschen gerufen hätten: Wir wollen eure Alu-Chips haben. Aber es war umgekehrt. Die Ostdeutschen wollten die D-Mark.

Wie viel Aufbau braucht der Osten noch?

Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Daher gibt es weiteren Aufbaubedarf. Aber wir wollen nicht ewig Bittsteller beim Länderfinanzausgleich bleiben. Wir wollen dem Westen nicht dauernd zur Last fallen.

Was bedeutet das für den Solidaritätszuschlag?

Der Soli ist ein Zuschlag auf die Einkommensteuer, der in den Bundeshaushalt fließt und dem Aufbau Ost dienen soll. Aus Solidarität mit den nachfolgenden Generationen sollte der Zuschlag so lange erhoben werden, bis Deutschland seine Schulden vollständig abgebaut hat. Wir leben auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder. Wir haben die Verantwortung, ihnen keine Lasten zu hinterlassen, für die sie in 50 oder 60 Jahren noch Zinsen zahlen.

Dann reden wir aber nicht mehr über einen Ost-Soli.

Genau genommen ist er das schon lange nicht mehr. Ich schlage daher vor, den Solidaritätszuschlag in Nachhaltigkeitszuschlag umzubenennen.