Bei der Abstimmung über eine neue Verfassung in Syrien ist es zu erneuter Gewalt mit 29 Toten gekommen. Opposition boykottierte die Wahl.

Damaskus. Bei der Wahl zu einer neuen Verfassung hat es in Syrien erneut Gewalt gegeben. Dabei wollte das syrische Regime mit der Abstimmung über eine neue Verfassung Bereitschaft zu Reformen demonstrieren. Doch die Realität im Land ist auch am Sonntag eine andere gewesen: Bei erneuter Gewalt wurden nach Angaben von Aktivisten mindestens 29 Menschen getötet. Anhänger der Opposition boykottierten das Referendum. Politiker des Westens bezeichneten es als Farce. Nach Einschätzung von Experten könnte Präsident Baschar Assad selbst im Falle einer Umsetzung des Entwurfs für eine neue Verfassung bis zum Jahr 2028 weiterregieren.

Etwa 14,6 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, sich für oder gegen ein Ende der seit fünf Jahrzehnten andauernden formellen Alleinherrschaft der regierenden Baath-Partei zu entscheiden. Der Andrang vor den 14.000 Wahllokalen blieb bis zum Abend allerdings überschaubar. Der Verfassungsentwurf sieht ein Mehrparteiensystem sowie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mal sieben Jahre vor. Die gegenwärtige, noch bis 2014 laufende Amtszeit Assads werde dabei aber nicht angerechnet, sagte der syrische Rechtsexperte Omran Subi.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle rief Assad dazu auf, den Weg für einen politischen Übergang freizumachen. „Das Referendum in Syrien ist nicht mehr als eine Farce. Scheinabstimmungen können kein Beitrag zu einer Lösung der Krise sein“, hieß es am Sonntag in einer Stellungnahme des FDP-Politikers. US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete das Referendum als "zynischen Trick“, der nur der Legitimierung der Gräueltaten des Regimes dienen solle und forderte die verbliebenen Anhänger Assads offen zu einer Abkehr von ihm auf.

Die beiden größten Schirmorganisationen der Opposition, der Syrische Nationalrat und das Nationale Koordinierungsgremium für demokratischen Wandel in Syrien, hatten zu einem Boykott der Abstimmung aufgerufen. Gegner Assads kritisierten die Pläne als oberflächliche Reform, die nichts an der Macht des Regimes ändere. Einige der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen waren noch bis vor einem Jahr undenkbar gewesen, doch mittlerweile will sich ein Großteil der Oppositionsgruppen mit nichts weniger als dem Rücktritt Assads zufriedengeben.

"Ich boykottiere die Abstimmung“, sagte auch der Oppositionelle Mustafa Osso der Nachrichtenagentur AP am Telefon. Gesetze seien in Syrien wertlos, fügte er hinzu. Schließlich habe die Regierung den Ausnahmezustand bereits im vergangenen April aufgehoben, danach sei die Unterdrückung der Opposition jedoch sogar noch verschärft worden.

Allein am Sonntag wurden Aktivisten zufolge mindestens 29 weitere Menschen bei Angriffen von syrischen Regierungssoldaten getötet. Die meisten Opfer habe es in der Stadt Homs gegeben, teilte das Syrische Observatorium für Menschenrechte mit. Von weiteren Toten sei aus der Region um Daraa im Süden des Landes, aus Idlib im Nordwesten und aus der Provinz Deir el Sur im Osten berichtet worden. Bereits am Samstag waren beim Beschuss von Homs und anderen Hochburgen der Protestbewegung nach Angaben von Aktivisten mindestens 89 Menschen getötet worden.

Nach Angaben eines Sprechers des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz konnte die örtliche Gruppe der Hilfsorganisation am Samstag nicht in das umkämpfte Stadtviertel Baba Amr in Homs vordringen, um verwundete Syrer und ausländische Journalisten sowie die Leichen zweier weiterer Journalisten zu bergen. Am Freitag hatte ein Team des Roten Halbmonds noch 27 Menschen aus dem Viertel retten können.

In der Hauptstadt Damaskus, wo Assad unter Angehörigen von religiösen Minderheiten und Geschäftsleuten offenbar noch relativ große Unterstützung genießt, sagten einige Syrer, sie wollten sich an dem Referendum beteiligen. "Das ist eine gute Verfassung. Sie sieht Pluralismus vor und der Präsident darf nur noch zwei Perioden im Amt bleiben. Das gab es vorher nicht“, sagte ein Angestellter im öffentlichen Dienst, Mohammed Diab, als er vor einem Wahllokal im vornehmen Stadtteil Abu Rummane anstand.

"Ich bin hier, um für die neue Verfassung zu stimmen. Dies ist nicht die Zeit, Nein zu sagen. Das Volk sollte sich vereinen“, sagte der 28-jährige Dschaafar Naami. Auf Plakaten wurden die Menschen in Damaskus zur Teilnahme an der Abstimmung aufgerufen. "Wende dich nicht von der Wahl ab“, war auf einem zu lesen. Auf einem weiteren hieß es: "Syriens Verfassung: Freiheit des Glaubens“ - offenbar ein Hinweis auf die Verfassungsartikel zum Schutz religiöser Minderheiten.

Von Bassem Mroue und Zeina Karam