Xi Jinping soll bald Staats- und Parteichef werden. Er hat Erfahrungen mit dem westlichen System, kann der Demokratie aber wenig abgewinnen.

Hamburg/Washington. Draußen vor dem Weißen Haus schwenkten Hunderte Demonstranten Tibet-Flaggen und skandierten: "Tibet wird frei sein" und "Schande über die chinesische Regierung". Drinnen bekräftigte US-Präsident Barack Obama derweil den Wunsch nach vertieften Beziehungen zu China, mahnte beim Antrittsbesuch des künftigen Staatschefs Xi Jinping in Washington aber zugleich mehr Fairness in den Handelsbeziehungen an. Xi nannte als Ziel seiner viertägigen USA-Visite, "das amerikanisch-chinesische Verhältnis voranzubringen", verteidigte Chinas Menschenrechtspolitik gegen Kritik, räumte aber auch ein, dass es in dieser Frage noch Raum für Verbesserungen gebe.

Es war ein Treffen von zwei der mächtigsten Männer der Welt. Im November, wenn Obama sich mit guten Chancen der Wiederwahl stellt, soll Xi Jinping in Peking die Nachfolge von Staats- und Parteichef Hu Jintao antreten. Der 58-Jährige ist ein Vertreter der "Fünften Generation" der chinesischen Politikergarde. Derzeit ist er Vizepräsident der Volksrepublik, Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros sowie stellvertretender Vorsitzender der mächtigen Zentralen Militärkommission. Der groß gewachsene Politiker wird als starke Persönlichkeit beschrieben, als jemand, dessen Anwesenheit sofort bemerkt werde, wenn er einen Raum betrete. Doch im Westen ist er noch erstaunlich wenig bekannt.

Xis bisheriges Leben gleicht einer rasanten Achterbahnfahrt. 1953 wird er als Sohn des späteren chinesischen Vizepremiers und Gouverneurs der Provinz Guandong, Xi Zhongxun, im Pekinger Funktionärsviertel Zhongnanhai geboren. Sein Vater ist ein hoch geachteter Veteran des entbehrungsreichen "Langen Marsches" 1934/35 über 12 500 Kilometer, auf dem Kommunistenführer Mao Tsetung seine Macht über die Partei und ihre Truppen entscheidend festigte. Der Marsch ist der zentrale Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas.

Doch der Vater fällt bei Mao in Ungnade, sitzt bis 1974 im Gefängnis und kann erst danach an seine Politikerkarriere anknüpfen. Seine Familie wird wie Millionen andere städtische Chinesen aufs karge Land geschickt - "um von den Massen zu lernen". Vom 15. Lebensjahr an lebt Xi Jinping sieben Jahre lang in einer Höhlenwohnung im staubigen Weiler Lianjiahe, hebt Gräben aus, gewinnt das Gas Methan aus Schweinekot und leidet unter Myriaden von Flöhen.

1974 tritt Xi Jinping der KP bei, kann Chemie an der Pekinger Eliteuniversität Tsinghua studieren und sogar promovieren, wird Vizebürgermeister in Xiamen, steigt die Karriereleiter in der Partei immer rascher empor - wird nacheinander Gouverneur zweier Provinzen und Parteichef von Shanghai, ehe er 2008 zum Vizepräsidenten gewählt wird.

Mit Xi Jinping könnte China sein erstes Glamourpaar an der Führungsspitze bekommen: Die künftige Nummer eins ist in zweiter Ehe verheiratet mit der berühmten Folklore-Sängerin Peng Liyuan, deren Strahlkraft ihn lange Zeit in den Schatten stellte. Das Paar hat eine 1992 geborene Tochter, Xi Mingze. Obwohl der langjährige Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, Xi immerhin "in die Mandela-Klasse" von Männern einordnete, ist wenig wahrscheinlich, dass er sich als Revolutionär entpuppt. Xi ist ein "Prinzling" - ein Mitglied der Edel-Nomenklatura. Und diese kleine Elite solle China auch am besten regieren, so wird er zitiert. Der Demokratie kann er wenig abgewinnen.

Dabei hat Xi Jinping durchaus Erfahrungen mit dem System des Westens. Seine ältere Schwester lebt in Kanada, seine Tochter studiert unter anderem Namen an der US-Eliteuniversität Harvard. Er selbst bereiste bereits 1985 die USA und besuchte unter anderem die Kleinstadt Muscatine. Diesen Ort will Xi auch dieses Mal wieder aufsuchen - vielleicht ein Hinweis auf eine sentimentale Ader im Wesen des bald mächtigsten Mannes der kommenden Supermacht China.