Nach der Zustimmung zu den EU-Hilfen sind die Gräben in Politik und Gesellschaft tiefer denn je. Abweichler aus Fraktionen ausgeschlossen.

Athen. Am Morgen nach der Abstimmung im Parlament und den gewalttätigen Protesten dagegen hing noch immer der Geruch von Tränengas in den Gassen der Athener Innenstadt. In manchen Straßen sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Feuerwehrleute waren damit beschäftigt, die letzten Brände zu löschen, Reinigungskräfte sammelten Schutt auf. Fast 50 Gebäude waren in der Nacht in Brand gesetzt worden, mehr als 170 Menschen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen einigen Hundert gewaltbereiten Autonomen und den Sicherheitskräften verletzt.

199 der 300 Abgeordneten hatten um kurz nach Mitternacht den von den internationalen Geldgebern diktierten harten Sparmaßnahmen zugestimmt. Eine wichtige Hürde für die Gewährung weiterer Staatshilfen war damit genommen. "Geschafft! Bankrott vorerst abgewendet", kommentierte ein sozialistischer Abgeordneter. Doch die Auflösungserscheinungen in Staat und Gesellschaft sind unübersehbar. Die Gräben zwischen und auch in den Parteien sind tief, die Schuldenkrise reißt Volk und Politik auseinander.

Und geschafft ist die Rettung vor der Pleite noch lange nicht. Der Widerstand in der Bevölkerung gegen Kürzungen von Löhnen und Arbeitslosengeld, gegen drastische Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst ist groß. Die neuen Sparmaßnahmen werden den Krisenstaat hart treffen: Die Arbeitslosenquote, die jetzt schon bei 21 Prozent liegt, dürfte weiter steigen. Die Wirtschaft schrumpft, und bis der Schuldenstand ein erträgliches Niveau erreicht, dürften noch mindestens acht Jahre vergehen, schätzt der Internationale Währungsfonds.

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Aus Brüssel kam gestern erst einmal ein Lob: EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte, die Zustimmung des griechischen Parlaments zeige die Entschlossenheit des Landes, der Schuldenspirale ein Ende zu setzen. Allerdings betonte er zugleich, dass noch nicht alle Bedingungen für die - für morgen geplante - Freigabe des zweiten Hilfspakets über 130 Milliarden Euro erfüllt seien. Dazu gehören weitere Einsparungen von 325 Millionen Euro und die schriftliche Zusicherung der großen Parteien, das Sparprogramm über die Wahl im April hinaus umzusetzen.

Der Vorsitzende der FDP-Gruppe im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff regte dagegen ein von der Bevölkerung Europas getragenes Hilfsprogramm an: Mit einem Urlaub in Griechenland sollten die Europäer jetzt der griechischen Wirtschaft unter die Arme greifen, forderte er. "Wer schon immer mal überlegt hat, in Griechenland Urlaub zu machen, kann jetzt ein Signal setzen. Jeder Urlauber ist dem Land eine Hilfe", sagte Lambsdorff dem Abendblatt. Das Land brauche dringend Wirtschaftswachstum, der Tourismussektor müsse wieder wettbewerbsfähig werden. "Aber jetzt im Februar liegt der Tourismus brach", erklärte er. "Da gibt es reichlich Wachstumspotenzial, das noch abgerufen werden kann."

Forderungen von SPD und Grünen, einen neuen Marshallplan für Griechenland aufzulegen, widersprach der Liberale. Europa sollte seiner Meinung nach auf einem anderen Weg die Konjunktur des Landes ankurbeln. "Mit der schnellen Freigabe der ohnehin für Griechenland vorgesehenen EU-Strukturfondsmittel können dem Land sofort 16 bis 18 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden."

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Das Geld würde in ein Land fließen, dessen politische Akteure seit der Spardebatte noch tiefer zerstritten sind als zuvor: Abgeordnete beschimpften sich im Parlament gegenseitig als Verräter. Ein Ja verrate das Volk und bringe die internationale Kontrolle ins Land, argumentierte die Opposition. Ein Nein stürze das Volk in den Abgrund des Bankrotts, hielten Regierungsabgeordnete dagegen. Der "Spalt in den Parteien ist tief", titelte die konservative Zeitung "Kathimerini". Bei Sozialisten und Konservativen gab es mehr als 40 Abweichler. 22 Abgeordnete der Sozialisten stimmten gegen das Sparprogramm - und wurden danach sofort aus der Fraktion ausgeschlossen. Ebenso wie die 21 Konservativen, die ihrer Parteiführung die Gefolgschaft verweigerten. Die Mehrheit von Ministerpräsident Lucas Papademos (parteilos) schrumpfte von 236 auf 192 Sitze. Die Zahl der unabhängigen Abgeordneten dagegen wuchs sprunghaft auf 62. Würden sie sich zusammentun, wären sie die zweitstärkste Kraft im Parlament.

Wer wird die Mehrheit die Parlamentswahl im April gewinnen? Diese Frage steht in der Spardebatte immer mit im Raum. Jüngste Umfragen deuten auf erdrutschartige Umbrüche hin. Vor allem die Sozialisten dürften verlieren: Bei der Wahl 2009 hatte die Pasok-Partei noch 44 Prozent errungen, derzeit liegt sie bei neun Prozent. Für die mitregierenden Konservativen sieht es besser aus. Sie liegen bei 27 Prozent. Doch der Absturz der Wirtschaft, Massenarbeitslosigkeit und die Verarmung der unteren Bevölkerungsschichten spielt vor allem den linken Parteien in die Hände. Wären heute Wahlen, kämen die marxistische Linke und gemäßigtere linke Parteien zusammen auf fast 40 Prozent. Vor allem die noch junge Partei Demokratische Linke profitiert von den Wirrnissen. Sie liegt derzeit bei 18 Prozent. Die Partei lehnt das Sparpaket ab - solange es nicht mit einer Förderung des Wachstums verbunden ist.