Die Berichte über die systematischen Misshandlungen von Schülern rauben dem Sonderermittler Thomas Pfister den Schlaf.

Papst Benedikt XVI. hat in seiner Zeit als Präfekt der katholischen Glaubenskongregation in den 80er Jahren laut US-Dokumenten viel Zeit verstreichen lassen, als ihm die Entlassung eines katholischen Geistlichen wegen mehrerer Missbrauchsfälle an Kindern angetragen wurde. Der Anwalt Jeff Anderson veröffentlichte am Freitag eine Serie von Schreiben zu dem Fall, die aus den 80er Jahren stammen.

Der Bischof von Oakland, John Cummins, ersuchte den Vatikan den Dokumenten zufolge im Juni 1981 erstmals, den Priester Stephen Kiesle, der Ende der 70er Jahre laut einem Gerichtsverfahren sechs Kinder zwischen elf und 13 Jahren missbraucht hatte, aus dem Kirchendienst zu entlassen. Der Fall wurde über Jahre hinweg im Vatikan nicht abschließend bearbeitet, am 15. November 1985 schrieb Joseph Ratzinger, der heutige Papst, in einem lateinischen Schreiben, der Fall Kiesle sei „gravierend“, jedoch müsse in Rechnung gestellt werden, welche Auswirkungen eine Entlassung auf das „Wohl der universellen Kirche“ hätte. Kiesle wurde dann zwei weitere Jahre später aus dem Kirchendienst entlassen.

Ratzinger war seit Ende 1981 Vorsitzender der Glaubenskongregation. Cummins kam in einem Schreiben vom Februar 1982, das an Ratzinger gerichtet war, auf den Fall Kiesle zurück und beharrte darauf, dass der Geistliche entlassen werden müsse. Er vertrat die Ansicht, es wäre „kein Skandal“, wenn dem Antrag stattgegeben würde, sondern „vermutlich ein größerer Skandal“, wenn dieser seine Funktion weiter ausübe. Auf ein weiteres Schreiben vom September 1982 erhielt der Bischof lediglich den Hinweis, die Sache würde zu „gegebener Zeit“ weiterverfolgt. Als Ratzinger 1985 antwortete, wies er darauf hin, der Fall Kiesle müsse „sorgfältig“ untersucht werden, dafür sei ein „längerer Zeitraum als üblich“ erforderlich.

Ratzinger wurde vor fünf Jahren als Nachfolger von Johannes Paul II. als katholisches Kirchenoberhaupt gewählt. Sein Sprecher Ciro Benedettini erklärte zu den Vorwürfen Andersons gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur Ansa, aus den Schreiben Ratzingers gehe hervor, dass der Präfekt der Glaubenskongregation das Verhalten des Geistlichen nicht vertuscht habe. Vielmehr habe er darauf hingewiesen, dass die Vorgänge „sehr sorgfältig“ untersucht werden müssten und dass „alle Seiten berücksichtigt“ werden müssten. Kiesle wurde 2004 wegen des Missbrauchs eines Mädchens zur sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Anderson vertritt die Interessen von zwei Opfern des früheren Geistlichen.

Unterdessen wurden neue Einzelheiten zu den Missbrauchsfällen bekannt, die sich im Kloster Ettal bei Garmisch-Partenkirchen in den vergangenen Jahrzehnten ereigneten. Die Schilderungen über den massenhaften Missbrauch von Schülern in Ettal hätten ihm den Schlaf geraubt, sagte Sonderermittler Thomas Pfister dem Magazin „Focus“. „Es waren Berichte über so abartige Gräueltaten, dass ich nachts nicht einschlafen konnte.“

Insgesamt 15 Mönche, darunter ein früherer Abt, sollen im Kloster Ettal weit mehr als einhundert Schüler systematisch gequält und sexuell missbraucht haben. Rechtsanwalt Pfister war Ende Februar im Auftrag des Erzbistums München und Freising in das oberbayerische Kloster gefahren, um die Einzelheiten der Missbrauchsvorwürfe aufzuklären. Die mutmaßlichen Opfer berichten von Prügeln mit Skistöcken, von durch Schläge geplatzten Trommelfellen und von lebendigen Molchen, die sie essen mussten.