Ist es möglich, mit Hartz IV ein Leben in Würde zu führen? Mit Spannung wird ein Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe erwartet.

Karlsruhe. Wohl selten wurde ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit so viel Spannung erwartet. Mit ihrer Entscheidung zur Höhe der Hartz-IV-Leistungen erklären sich die Karlsruher Richter am Dienstag zu den Grundfesten unseres Sozialstaats und zum ersten und wichtigsten Satz unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Doch wie viel Geld benötigt ein Mensch, um ein Leben in Würde führen zu können? Politiker, Steuerzahler und nicht zuletzt knapp sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger erwarten, dass die Karlsruher Richter eine Antwort geben.

Zurzeit sind es für alleinstehende Erwachsene 359 Euro monatlich, für Partner 323, für Jugendliche 287, für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren 251, für Jüngere 215 Euro – immer zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit, ob diese Summen ausreichend sind. Schon diese Leistungen summierten sich im vergangenen Jahr auf den gigantischen Betrag von 45 Milliarden Euro.

Mehrfach wollte das Bundessozialgericht in Kassel an der Eck-Regelleistung für Erwachsene nicht rütteln. Anfang 2009 rügte es aber, dass die Leistungen für Kinder pauschal davon abgeleitet wurden, obwohl sie offenkundig ganz andere Bedürfnisse haben – etwa Spielsachen, Schulmaterial und Ersatz für zu klein gewordene Schuhe. Bereits zuvor hatte das Landessozialgericht Darmstadt Zweifel auch an den Leistungen für Erwachsene geäußert. Und es hatte kritisiert, dass gar nicht diskutiert und definiert wurde, was eine menschenwürdige Existenz überhaupt umfasst.

Damit liegt diese Frage als erste und wichtigste beim Bundesverfassungsgericht. Präsident Hans-Jürgen Papier sprach bei der mündlichen Verhandlung im Oktober vom „sachlichen Gehalt des Existenzminimums“. Kern dieser Frage ist, ob sich ein menschenwürdiges Dasein nur auf Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf erstreckt, oder ob und in welchem Umfang nicht auch Ausgaben für ein Buch, Sport oder ein kleines Mitbringsel für den Besuch beim Nachbarn dazugehören.

Eng verknüpft damit ist die zweite Frage, der sich das Bundesverfassungsgericht zugewandt hat: die Frage nach Klarheit und Berechnung der Hartz-IV-Sätze. Früher gab es bei der Sozialhilfe den so genannten Warenkorb. Jeder konnte darin offen erkennen, welche Ausgaben für die Hilfebedürftigen vorgesehen sind. Die Hartz-IV-Leistungen dagegen wurden von den Einkünften der untersten Lohngruppe abgeleitet. Ob das ausreicht in einem Land, das nach Überzeugung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, in manchen Branchen „nur noch als Niedriglohnland“ bezeichnet werden kann, hat der Gesetzgeber nicht begründet. Und er hat auch nicht begründet, warum Kinder einfach als kleine Erwachsene behandelt werden, statt ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu ermitteln.

Drittens schließlich geht es um den Spielraum, den der Gesetzgeber bei alledem hat. Dass das Existenzminimum nicht von der Kassenlage abhängen kann, klingt plausibel. Ebenso richtig ist aber, dass es möglich sein muss, die Hartz-IV-Leistungen aus den staatlichen Haushalten zu finanzieren. Die Bürger, die dies mit ihren Steuergeldern tun, sind da offenbar weniger geizig als die Politiker: 61 Prozent halten nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des „Stern“ die Hartz-IV-Leistungen für zu niedrig.