Guido Westerwelle lebt offen homosexuell - was seine Reise ins konservative Saudi-Arabien zu einer schwierigen Mission machte.

Riad. Sogar der König nahm sich Zeit. So viel wie keiner erwartet hatte. Fast zwei Stunden lang hieß Saudi-Arabiens betagter Herrscher Abdullah am Samstag Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) willkommen. Und das auch noch in seinem prächtigen Privatpalast, draußen vor den Toren der Hauptstadt Riad, wo Ausländer nur selten hineindürfen. Anschließend war keine Rede mehr davon, dass für den einzigen offen homosexuellen Außenminister der Welt die Türen bei den Scheichs verschlossen bleiben könnten.

Die freundliche Aufnahme war keine Selbstverständlichkeit: Immer noch müssen Schwule in Saudi-Arabien mit der Todesstrafe rechnen, auch wenn es deshalb schon seit Jahren keine Hinrichtungen mehr gegeben hat. Amnesty International berichtete erst kürzlich wieder davon, dass zwei homosexuelle Saudis zu je 7000 Peitschenhieben verurteilt wurden. Das arabische Wort „schas“ kann nicht nur schwul heißen, sondern auch „andersartig“, „unnatürlich“ und „pervers“.

Auch Westerwelle war sich darüber im Klaren, dass der Aufenthalt in dem sittenstrengen islamischen Königreich für ihn persönlich heikel werden könnte. Zumal der FDP-Chef noch zu Oppositionszeiten angekündigt hatte, bei einem Wahlerfolg die Ächtung und Verfolgung von Homosexuellen auch über Deutschlands Grenzen hinaus anzuprangern. Noch im Mai 2009 brachte er zusammen mit seiner Fraktion einen entsprechenden Antrag in den Bundestag ein.

Dem „Stern“ sagte er als Oppositionspolitiker: „Ich bin zum Beispiel dagegen, dass Länder Entwicklungshilfe vom deutschen Steuerzahler bekommen, die Frauen nur als Menschen zweiter Klasse behandeln und systematisch misshandeln oder wo Männer und Frauen hingerichtet werden, nur weil sie homosexuell sind.“

Diese Drohung war in Saudi-Arabien – mit seinen gigantischen Ölreserven eines der reichsten Länder der Welt – kein Thema. Aber auch sonst zog sich Westerwelle diplomatisch klug aus der Affäre. Wenn er offen für mehr Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben geworben hätte, hätte es mit ziemlicher Sicherheit einen Eklat gegeben. Einfach schweigen ging aber ebenfalls nicht.

Also bettete er das Thema bei der offiziellen Pressekonferenz mit dem Ministerkollegen Prinz Saud al-Faisal in eine Bemerkung über die Menschenrechte allgemein ein. „Es gibt selbstverständlich auch Meinungsunterschiede zwischen uns. Wir haben ausführlich über die Menschenrechte gesprochen, bis hin zu der Frage der religiösen Pluralität.“ Und fügte hinzu: „Wir sind der Meinung, dass die Todesstrafe überall abgeschafft werden soll.“

Jedem, der Bescheid weiß, war klar, was damit auch gemeint war. Prinz Saud – mit seinen 35 Dienstjahren als Außenminister der weltoffenste Scheich – entgegnete nur, dass es „unterschiedliche Wertesysteme“ gebe. Dann ging es wieder um wichtigere Fragen wie den Frieden im Nahen Osten, wo die Saudis eine Schlüsselrolle einnehmen, den Atomkonflikt mit dem Iran und die Entwicklung im Jemen, um den sich die Staatengemeinschaft immer größere Sorgen macht.

Westerwelle warnte vor einem Abdriften des Jemen in Richtung Terrorismus. „Wir haben ein großes Interesse an einem stabilen Jemen, der kein Rückzugsgebiet für Terroristen wird“, sagte er. Gemeinsam mit Prinz Saud mahnte er die Staatengemeinschaft, die Entwicklung im ärmsten Land der arabischen Halbinsel aufmerksam zu verfolgen.

International wächst die Sorge, dass die Terrororganisation al-Qaida ihren Einfluss im Jemen ausbaut. Zudem führen schiitische Rebellen im Grenzgebiet zu Saudi-Arabien Krieg gegen die Zentralregierung in Sanaa. Riad vermutet, dass die Rebellen vom Iran unterstützt werden. Nach wie vor gibt es auch keine Gewissheit über das Schicksal einer fünfköpfigen Familie aus Sachsen, die vor sechs Monaten im Jemen entführt wurde. Die Zentralregierung hat erklärt, das Paar mit seinen drei Kindern sei noch am Leben.

Westerwelle zeigte sich offen für den Vorschlag, am Rande der Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London auch über Hilfe für den Jemen zu beraten. Die jemenitischen Behörden müssten in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit zu sorgen. Auch andere Länder haben bereits Unterstützung signalisiert. Mit Entwicklungshilfe über knapp 80 Millionen Euro für den Jemen in den Jahren 2009/10 steht Deutschland in Europa an der Spitze. Saudi-Arabien unterstützt den armen Nachbarn mit Finanzhilfen in Milliardenhöhe. Der saudische Außenminister warnte mit Blick auf den Iran vor einer „Einmischung von außen“. „Der Jemen muss ein souveräner und unabhängiger Staat bleiben.“

Nach Angaben der jemenitischen Regierung wird Westerwelle zum Abschluss seiner Reise in die Golfstaaten überraschend auch den Jemen besuchen. Das Auswärtige Amt hat die Information allerdings noch nicht bestätigt.

Westerwelle wurde in Saudi-Arabien nicht nur vom Kollegen und vom König, sondern auch von konservativen Mitgliedern des Königshauses mit orientalischer Gastfreundlichkeit empfangen. Selbst der ebenso sittenstrenge wie einflussreiche Gouverneur von Riad, Prinz Salman bin Abdulasis, ging herzlich mit ihm um. Vielleicht mag auch die Neugier ein wenig größer gewesen sein als sonst.

Offen angesprochen wurde das Thema Homosexualität allerdings während des ganzen Tages nie – nach Auskunft aus dem Auswärtigen Amt nicht einmal hinter verschlossenen Türen. Und auch am Abend nicht, als das saudische Staatsfernsehen über den Besuch berichtete. Ein Außenminister, der mit einem Mann zusammenlebt und daraus kein Geheimnis macht? Davon wissen – mit Ausnahme der Scheichs – die 28 Millionen Menschen in Saudi-Arabien bis heute nichts.