Die designierte Vorsitzende von Deutschlands größter Krankenkasse Barmer GEK, Birgit Fischer, geht mit der Bundesregierung hart ins Gericht.

Berlin. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) wirft sie „Milchmädchenrechnungen“ vor, Insolvenzen bei einzelnen Krankenkassen hält sie wegen der angespannten Finanzlage für möglich – Birgit Fischer spricht kurz vor der Übernahme des Vorsitzes bei der Barmer GEK eine deutliche Sprache. Im Interview mit der Deutschen Presse- Agentur dpa sagt die 56-Jährige, worauf es ihr ankommt, wenn sie mit der Fusion von Barmer und GEK am 1. Januar die dann größte Kasse mit 8,6 Millionen Versicherten führt.

Freuen Sie sich überhaupt auf ihren neuen Job angesichts des erwarteten Milliardendefizits bei den Krankenkassen und enger Spielräume?

Fischer: „Ich freue mich sehr auf die neuen Aufgaben. Es ist eine große Herausforderung, so ein Unternehmen zusammenzuführen und zu führen. Die Fusion und die steigende Zahl der Mitarbeiter, die teils neue Aufgaben wahrnehmen, bringen uns mehr Gestaltungskraft. In den drei zentralen Bereichen Prävention, Versorgungsqualität und Innovation machen wir einen großen Sprung nach vorn.“

Zum Beispiel?

Fischer: „Ärzte, Kliniken, Apotheker, Pharmaindustrie und andere Akteure blockieren sich oft gegenseitig. Viele Innovationen, die durch bessere Abstimmung und Koordination zwischen unterschiedlichen Ärzten erreicht werden können, bleiben den Versicherten oft vorenthalten. Die Kassen müssen hier als Gesundheitspartner im Interesse der Versicherten viel stärker mitgestalten.“

Wie stark werden sie durch den Finanzdruck eingeengt?

Fischer: „Die zwangsläufig vorherrschende Fokussierung vieler Kassen auf die Frage der Zusatzbeiträge verhindert, dass Veränderungsprozesse in der Versorgung angestoßen werden. Meine große Sorge ist, dass es die Krankenkassen verpassen könnten, neue Wege zu gehen, zum Beispiel zu einer neuen Zusammenarbeit mit den Ärzten.“

Wann erhebt die Barmer GEK den Zusatzbeitrag?

Fischer: „Absehbar ist, dass alle Kassen Zusatzbeiträge erheben müssen. Wir sind mit Sicherheit nicht bei der ersten Welle im Februar oder März dabei. Alle weiteren Aussagen wären unseriös. Es hängt auch noch von weiteren Entwicklungen ab. Würde der teure Hausarztvertrag aus Baden-Württemberg zum Beispiel eins zu eins übertragen, führte dies bei uns deutschlandweit zu Mehrkosten von bis zu einer halben Milliarde Euro. So weit darf es nicht kommen.“

Halten sie Zusatzbeiträge auch bei den AOK für wahrscheinlich?

Fischer: „Einige AOK profitieren stark vom krankheitsbezogenen Finanzausgleich. Aber im gesamten AOK-Lager gibt es viele, die massive Probleme haben.“

Bleibt es 2010 bei acht Euro Zusatzbeitrag im Monat?

Fischer: „Ich schließe nicht aus, dass es Kassen gibt, die bereits 2010 über acht Euro liegen werden. Aber jede Kasse muss Aufwand und Einnahmen gegenrechnen. Die Obergrenze der Zusatzbeiträge liegt bei einem Prozent des Einkommens. Acht Euro markieren die Schallgrenze, ab der eine Einkommensprüfung beginnt. Dann müssen die Kassen einzelne Konten für jeden Versicherten führen und ein Prüfsystem aufbauen. Gegen diese Bürokratiekosten hilft nur das Quellenabzugsverfahren, so dass der Zusatzbeitrag direkt vom Lohn einbehalten wird.“

Werden einzelne Kassen wegen der Obergrenze mit Zusatzbeiträgen gar nicht auskommen?

Fischer: „Schieflagen und Insolvenzen kann man nicht ausschließen. Wartet eine Kasse zu lange mit einem Zusatzbeitrag, verschlechtert sich die Situation immens. Und die Ein-Prozent-Grenze hat noch den Nachteil, dass Einnahmeausfälle von jenen ausgeglichen werden müssen, die mehr verdienen. Das verschlechtert natürlich die Wettbewerbssituation betroffener Kassen erheblich.“

Ist der politisch gewollte steigende Wettbewerb zwischen den Kassen wegen der Zusatzbeiträge nicht auch gut für die Versicherten?

Fischer: „Wettbewerb über Zusatzbeiträge ist falsch. Politik sollte die Speerspitze für den Wettbewerb um bessere Versorgung sein. Der Gesundheitsfonds ist aber so angelegt, dass er entweder auf eine Kopfpauschale hinausläuft oder auf eine Erhöhung der Steuermittel.“

Minister Philipp Rösler (FDP) will beides – die Pauschale für alle und den Ausgleich für Arme aus Steuermitteln.

Fischer: „Das ist eine Milchmädchenrechnung. Selbst ohne Kostensteigerungen müsste er eine Kopfprämie von 143 Euro erheben. Das würde bedeuten, dass 40 Prozent unserer Versicherten zu den Gewinnern gehören würden. 60 Prozent wären auf Steuerzuschüsse angewiesen. Zwei von drei brächte man so in staatliche Abhängigkeit. Käme das so, würden zusammen mit den derzeit rund 15 Milliarden dann etwa 35 Milliarden Euro im Jahr aus Steuermitteln gebraucht. Rösler müsste dies jedes Jahr gegen den Rüstungs-, Bildungs- oder Forschungshaushalt erkämpfen.“

Sind Sie also für ständige Erhöhungen der Beiträge?

Fischer: „Nein. Die Krankenkassen erhalten seit Jahren für Arbeitslose und Arbeitslosengeld-II-Empfänger weniger als sie durchschnittlich brauchen. Bei Arbeitslosen sind es 80 Prozent, bei ALG-II-Beziehern 134 Euro trotz durchschnittlicher Kosten von 260 Euro. Das bezahlen die Kassen mit 4,9 Milliarden. Würde der Staat dies begleichen, gäbe es kein Defizit. Dann müssen wir die Herausforderung angehen, angesichts der demografischen Entwicklung mit immer mehr Patienten mit mehreren Krankheiten die Versorgung neu zu organisieren und durch bessere Qualität wirtschaftlicher zu handeln. Die Regierung verzettelt sich aber in Scheingefechte um Pauschalen. Das polarisiert und erzeugt Widerstand. Ich fürchte, die Koalition geht den scheinbar einfachsten Weg und lädt die Probleme beim Versicherten ab. In Unternehmen würde man sagen: Das ist schlechtes Management.“