Legitim oder intolerant? Nach dem Volksentscheid der Schweizer gegen den Bau von Minaretten ist jetzt europaweit ein heftiger Streit entbrannt.

Hamburg. Legitimer Volkszorn oder Angriff auf Grundwerte? Schluss mit Multikulti-Illusionismus oder Respekt vor Andersgläubigen? Nach dem Volksentscheid der Schweizer gegen den Bau neuer Minarette vor zwei Wochen ist eine hitzige Debatte unter Intellektuellen entbrannt. Fast täglich äußern sich Wissenschaftler oder Publizisten. Unter den Namen sind alte Bekannte, die sich schon lange betont kritisch mit dem Islam auseinandersetzen, wie die Soziologin Necla Kelek („Die fremde Braut“), die niederländische Autorin und Ex-Politikerin Ayaan Hirsi Ali und der Publizist Ralph Giordano, aber auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Insgesamt lassen sich zwei Argumentationsebenen erkennen: Zum einen geht es darum, ob radikalislamische Auswüchse ihre Ursachen in der Religion selber haben und der Islam deshalb als Bedrohung empfunden werden könnte. Diese Debatte entzündet sich regelmäßig zum Beispiel an Bauprojekten für große Moscheen wie zuletzt in Köln. Zum anderen werfen einige Autoren den Politikern Ignoranz vor: Ignoranz gegenüber Unmut und Zorn unter der Bevölkerung, der vielleicht nicht gerechtfertigt sei, aber doch ernst genommen werden müsse.

Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani kritisierte in der „Süddeutschen Zeitung“ grundsätzlich, dass bei dem Schweizer Votum Grundrechte und Grundwerte zur Disposition gestellt wurden. „Mit den gleichen Argumenten, die für das Minarettverbot angeführt worden sind, wird man alle anderen Formen islamischer Präsenz im öffentlichen Raum verbieten können.“ Er plädiert dafür, Probleme nicht zu tabuisieren, die Debatte aber auf der Grundlage des europäischen Wertekanons zu führen: „Die Sorgen vor Überfremdung ernst zu nehmen, kann nicht bedeuten, den Rechtspopulisten in vorauseilendem Gehorsam Genüge zu tun und das Fremde per Gesetz unsichtbar zu machen.“

Einen ähnlichen Tenor vertrat auch Ex-Bundeskanzler Schröder in der „Zeit“: „Wer den Bau von Minaretten verbietet, der will, dass diese gesellschaftliche Veränderung (durch Zuwanderung) nicht sichtbar wird.“ Insgesamt meint Schröder: „Der Islam ist verschiedenartig, und die islamischen Gesellschaften sind vielfältig.“ Mit dieser These liegt Schröder auf einer Linie mit vielen Artikeln in überregionalen Medien.

Doch ihm antwortete prompt die Soziologin Necla Kelek in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Ja, was denn?“ fragt sie und wirft Schröder vor, zweierlei Maß anzulegen und zu relativieren. Er unterstelle den muslimischen Migranten noch nicht so weit zu sein, zum Beispiel Menschenrechte zu achten. Kelek meint aber, die muslimische Gemeinschaft habe durchaus ihre Probleme mit der zivilen Bürgergemeinschaft und versuche sich abzugrenzen. Das dürfe nicht als „Religionsfreiheit“ verkannt werden.

Weitaus schärfer äußerten sich Publizisten, die ihre kritische Haltung gegenüber dem Islam nun nach dem Votum bestätigt sehen: „Schluss, endlich Schluss mit den Totschlagargumenten einer Political Correctness“, forderte der jüdische Schriftsteller Giordano in der „Bild“-Zeitung. Er geißelte „feige, deutsche Politiker“, die Probleme verdrängen oder beschönigen. „Viele Menschen haben genug davon zu hören, dass der Islam eine Religion des Friedens und der Toleranz sei, während ein großer Teil der islamischen Welt aufstöhnt unter Tyrannei, Rückständigkeit, Frauenhass, Armut“, wetterte auch der niederländische Autor Leon de Winter („Recht auf Rückkehr“) in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ).

Zwar gebe es Probleme, „aber sie sind nicht die ganze Wirklichkeit“, hielt der Professor für Theologie der Universität Würzburg, Hans-Georg Ziebertz, diesen Stimmen in der „Frankfurter Rundschau“ entgegen. Zum einen sei der Islam eine vielgestaltige Religion und habe Anspruch auf differenzierte Beurteilung. Andererseits rühre Angst vor dem Islam aber auch daher, dass Europa von dieser normativen, kulturellen, politischen und teils radikalen Macht völlig überrascht wird: Mit einer privaten und „karitativ orientierten Religion hatte man sich eingerichtet, dass Religion auch andere Züge haben kann, war vergessen“.

Dennoch betonte der Schweizer Historiker Urs Altermatt in der NZZ: „Der moderne Islam in Europa ist kompatibel mit dem christlichen und säkularen Europa.“ In der Schweiz gebe es keine Parallelgesellschaft. Es seien mit einer aufwendigen Kampagne gezielt Ängste geschürt worden, kritisierte auch Kermani. „Nur so wird erklärlich, warum sie (die Ängste) gerade dort besonders ausgeprägt sind, wo am wenigsten Muslime leben“, zum Beispiel auf dem Land.

Bleibt also die Frage, ob die Ängste von Politikern ernst genug genommen werden: Nein, meinte der Medienmanager Hans-Hermann Tiedje in der NZZ. Für „deutsche Intellektuelle“ und Medienvertreter sei Kritik am Islam „politisch nicht korrekt“. Der „Normalbürger“ hingegen nehme die Realität wahr, die nicht nur Tiedje zufolge aus „vermummten Frauen“, „Fatwa“ und „Scharia“ besteht. Doch aktuellen Studien zufolge tragen zum Beispiel 70 Prozent aller muslimischen Frauen in Deutschland noch nicht einmal ein Kopftuch, und wer eins trägt, stammt überwiegend aus der ersten Einwanderergeneration.