Kanzlerin Angela Merkel ruft verschiedene Minister zusammen. Finanzminister Wolfgang Schäuble musste ins Krankenhaus.

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat wegen des geplanten historischen Euro-Rettungsbeschlusses der EU am späten Sonntagabend die zuständigen Bundesminister zusammengerufen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur kamen von der FDP Außenminister Guido Westerwelle, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu der Sondersitzung ins Kanzleramt. Von der CDU nahmen neben Merkel Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Generalsekretär Hermann Gröhe teil. Merkel telefonierte auch mit US-Präsident Barack Obama. Der Bundestag werde sich möglicherweise kurzfristig noch einmal mit den Folgen der Griechenland-Krise befassen müssen, hieß es.

Dem Vernehmen nach könnte bei der Sitzung auch der für CDU und FDP schlechte Ausgang der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sowie der erneute gesundheitliche Rückschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Rolle spielen. Er war am Sonntag in Brüssel ins Krankenhaus gekommen, weil er ein Medikament nicht vertrug, das er zum ersten Mal eingenommen hatte. Der seit einem Attentat im Rollstuhl sitzende Schäuble hat sich nach einer Routine-Operation vor Ostern nicht vollständig erholt. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) reiste nach Brüssel, um ihn zu vertreten.

Die Euro-Länder rüsten sich - getrieben von den internationalen Finanzmärkten - zur Verteidigung der europäischen Währung. Mit radikalen Reformen im Eilverfahren und einem raschen Auffangnetz für hoch verschuldete Mitgliedstaaten soll der Euro vor spekulativen Attacken geschützt werden. Die Finanzminister der 27 EU-Staaten wollten am Sonntagnachmittag in Brüssel einen entsprechenden Hilfsmechanismus beschließen. Dieser sollte zuvor von der EU-Kommission auf einer Sondersitzung ausgearbeitet werden. Das neue Abwehrsystem soll pünktlich zur Öffnung der Finanzmärkte am Montagmorgen stehen.

Die EU-Kommission wird demnach den EU-Finanzministern offenbar vorschlagen, zur Rettung der Gemeinschaftswährung bis zu 600 Milliarden Euro verfügbar zu machen. Dazu solle das System der bestehenden Zahlungsbilanzhilfen der EU auch auf die Euro-Länder ausgeweitet werden, verlautete am Sonntag aus EU-Kreisen. Das bislang maximal 50 Milliarden Euro umfassende Programm solle um 60 Milliarden Euro Garantiekapital aufgestockt werden. Das würde es der Kommission erlauben, Gelder bis zum Zehnfachen dieser Summe aufzunehmen und den Ländern zur Verfügung zu stellen.

Auf das neue Rettungssystem hatten sich die Staats- und Regierungschefs der 16 Euro-Länder in der Nacht zu Sonnabend in Brüssel verständigt. Auf Schuldensünder warten zudem härtere Sanktionen. Auch Finanz-Spekulanten geraten ins Visier. In den vergangenen Tagen waren nach Griechenland auch andere hoch verschuldete Euro-Länder wie Spanien und Portugal an den Märkten stark unter Druck geraten. „Wir werden den Euro verteidigen, was immer es kosten mag“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach dem Euro-Gipfel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte an, die Stabilität des Euro als Ganzes werde entschlossen durch gemeinschaftliche Maßnahmen gesichert werden. Merkel sprach von einer ernsten Situation. Die Lage auf den Finanzmärkten sei äußerst kritisch. „Wir stehen gemeinsam als Euro-Länder für die Stabilität des Euro“, sagte sie.

Für den deutschen Anteil an den Griechenland-Hilfen hatte das Bundesverfassungsgericht am Wochenende den Weg frei gemacht. Das oberste deutsche Gericht lehnte einen Eilantrag gegen die Not-Kredite von 22,4 Milliarden Euro an das vom Staatsbankrott bedrohte Land ab. Begründung: Der Allgemeinheit drohten sonst schwere Nachteile. Die Euro-Länder hatten ebenfalls grünes Licht für das Hilfspaket von bis zu 110 Milliarden Euro für Griechenland gegeben, von dem der Internationale Währungsfonds (IWF) 30 Milliarden Euro übernimmt.

Großbritannien will sich allerdings nicht an dem geplanten Notfallfonds für Euro-Länder beteiligen. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag von einem britischen EU-Diplomaten in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Staaten hatten sich in der Nacht zum Sonnabend grundsätzlich auf die Einrichtung des Fonds geeinigt. In den vergangenen Tagen waren Spanien, Portugal und Italien an den Finanzmärkten stark unter Druck geraten. Für den Notfallfonds könnte die EU-Kommission zinsgünstige Kredite an den Finanzmärkten aufnehmen. Diplomaten sprachen von bis zu 70 Milliarden Euro. Die Europäer erhoffen sich davon ein starkes Signal gegen Spekulanten, bevor am Montag die Märkte öffnen.

Nach der Zusage der Milliardenhilfen strebt die Regierung in Athen weitere Sparmaßnahmen an. Wie griechische Medien am Wochenende berichteten, geht es diesmal um Einschnitte bei Renten und Pensionen. Die Gewerkschaften wollen dagegen mit neuen Streiks mobil machen. Auch Krankenkassen sollen saniert werden. Nach den Ausschreitungen am vergangenen Mittwoch mit drei Toten verstärkte die Athener Polizei am Wochenende ihre Präsenz.

Das geplante Euro-Rettungssystem ist die bedeutendste Reform der Währungsunion seit Einführung der Gemeinschaftswährung vor gut elf Jahren. Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass die Kommission Kredite an den Finanzmärkten aufnimmt und diese weiter verleiht. Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker warnte: „Es geht hier um eine weltweit organisierte Attacke gegen den Euro.“ Zudem wollen die Euro-Länder die hohen Defizite möglichst rasch abbauen sowie die Regulierung der Finanzmärkte vorantreiben. Merkel versuchte, den Eindruck von Panik zu vermeiden: „Es ist wichtig, dass wir entschlossen, aber auch in großer Ruhe an die Sache herangehen.“

Die Euro-Länder wollen sich in ihrer Haushaltsplanung stärker in die Karten blicken lassen. „Wir haben beschlossen, die Eurozone mit einer wahrhaften Wirtschaftsregierung auszustatten“, sagte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Er kündigte ein hartes Durchgreifen bei der Regulierung der Finanzmärkte an. „Wir werden die Rating-Agenturen moralisieren.“ Der Euro sei Europa. „Wir können ihn nicht den Spekulanten überlassen.“

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) empfiehlt anderen Staaten der Euro-Zone die deutsche Schuldenbremse als Vorbild. „Zur Verhinderung künftiger Krisen im Euroraum brauchen wir effektive Regeln, die eine solide Haushaltspolitik in allen Mitgliedstaaten nachhaltig sichern“, sagte Schäuble dem „Hamburger Abendblatt“ (Montag). Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hatte die deutsche Schuldenbremse als diskussionswürdiges Instrument für die anderen Länder der Währungsunion bezeichnet.

Angesichts der Euro-Krise warnte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) vor den Folgen einer Inflation. Die Bundesregierung müsse eine Geldentwertung unbedingt verhindern, sagte Brüderle der „Bild am Sonntag“. Wirtschaftsexperten rechnen in Folge der Griechenland-Krise und wegen der angeschlagenen Staatshaushalte weiterer Euro-Länder mit einem weiteren Verfall der Währung. Brüderle bezeichnete in der „Bild am Sonntag“ Inflation als „die größte soziale Ungerechtigkeit“, denn unter ihr litten vor allem Rentner und Menschen mit geringem Verdienst. Auch angesichts der anhaltenden Währungskrise müsse aber kein Sparer Angst um sein Geld haben, hob Brüderle hervor.

Führende Wirtschaftsexperten warnten am Wochenende vor einem weiteren Verfall des Euro. Solange die Unsicherheit über Griechenland und andere Mitglieder der Währungsunion andauere, bleibe der Euro unter Druck, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, der „Bild am Sonntag“. „Ich denke, wir werden bald 1,20 gegenüber dem Dollar sehen, und ein weiterer Rückgang in Richtung Parität zum Dollar ist durchaus möglich.“ In Brüssel berieten am Sonntagabend die EU-Finanzminister auf einem Sondergipfel über die Währungskrise.

Wie „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf eine Emnid-Umfrage berichtete, haben 52 Prozent der Bundesbürger Angst vor einer Inflation. Besonders groß sei die Sorge bei den Rentnern, 63 Prozent der Menschen über 65 erwarteten einen Anstieg der Preise. Auf die Frage, ob Deutschland eine Rückkehr zur D-Mark prüfen sollte, antworteten dem Bericht zufolge 59 Prozent der Befragten Bundesbürger mit Ja. Jeder dritte Deutsche glaubt der Umfrage zufolge, dass es den Euro in zehn Jahren nicht mehr geben wird. Für die Erhebung befragte Emnid am vergangenen Donnerstag 502 Bürger.

Die Furcht vor einer Geldentwertung lässt nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ die Immobilienpreise in Deutschland anziehen. Nach Daten des Internet-Vermittlers Immobilienscout 24 von Ende April mussten Käufer für Neubauwohnungen 4,8 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor, wie das Blatt in seiner neuen Ausgabe berichtet.