Hamburg. 2018 endete die Ära Hengelbrock in Hamburg. Im Podcast spricht der ehemalige Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters darüber.

Ende Juni 2018 endete eine Ära: Thomas Hengelbrock dirigierte sein letztes Konzert als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters im Großen Saal des Konzerthauses, auf dessen Wirkung und Erfolg er so energisch hingearbeitet hatte. Im Dezember 2017 aber war es zum Bruch gekommen, zum vorzeitigen Aus und Vorbei.

Hengelbrock ging, Alan Gilbert kam (wieder). In wenigen Tagen soll nun eine neue, ganz andere Ära beginnen. Zunächst vor allem in der Laeisz­halle, mit mehreren Konzerten. Hengelbrock leitet dort seine eigenen Balthasar-Neumann-Ensembles, mit Programmen, die seine Handschrift als penibler Rote-Fäden-Verknüpfer tragen.

Da sind wir wieder, hier in Hamburg. Was ist bei Ihnen in der Zwischenzeit passiert?

Thomas Hengelbrock Nicht „wieder hier“, ich bin „noch hier“! Ich wohne immer noch auch hier, ich arbeite viel in Paris. Es geht mir gut, ich freue mich auf die neue Konzertreihe hier.

Weil wir einen nicht ganz kleinen Elefanten namens NDR Elbphilharmonie Orchester hier im Raum stehen haben: Wie lief das eigentlich alles damals? Wir haben beide Distanz dazugewonnen. Was ist schief gelaufen? Denn wenn alles glatt gegangen wäre, wären Sie jetzt noch NDR-Chefdirigent? So einen Rücktritt bricht man ja nicht mal eben vom Zaun.

Ich glaube, da haben Sie eine ganz andere Wahrnehmung von der Situation als ich. Ich habe 2008 meinen Vertrag für drei Jahre unterschrieben. Dann habe ich den um zwei Jahre verlängert, dann wurde er noch mal verlängert. Ich hatte aber nie vor, hier ewig Chef eines Symphonieorchesters zu bleiben. Sehr früh, Sommer 2016 habe ich entschieden, das nicht weiter fortzusetzen und die Verantwortlichen darüber informiert. Dass das holterdipolter ging mit der Vorstellung meines sehr geschätzten Nachfolgers Alan Gilbert, bevor ich etwas sagen konnte, das war ein Kommunikationsfehler. Relativ groß, vonseiten der Verantwortlichen, das war einfach schade. Die Zeit hier war unglaublich spannend. Wir haben einiges bewegt. Nicht alles war sensationell, ich habe viel Repertoire neu gelernt, das Orchester hat sich mit mir einen großen Repertoireschwerpunkt erschlossen. Im Großen und Ganzen blicke ich sehr zufrieden auf diese Zeit. Hätte es diese Kommunikationsstörung nicht gegeben, würden wir hier so nicht sitzen.

Und Sie wären noch NDR-Chefdirigent?

Ganz sicher nicht. Meine Frau Johanna Wokalek hatte am Burgtheater gekündigt, wir haben unseren Sohn in Paris eingeschult, im September 2016. Aber natürlich war das nicht möglich, dass dieser Entschluss vor Eröffnung der Elbphilharmonie kommuniziert wird.

Noch mal: Bereuen Sie diesen Schritt?

Jeder Dirigent, der länger bei einem Orchester ist, ist in ein zyklisches Geschehen eingespannt. Das ist vollkommen normal. Und glauben Sie nicht, dass Dirigenten nach 25 Jahren, wenn man die Rückvergoldung mal abzieht, immer nur harmonische Zeiten hatten. Musiker zu sein, das ist ein sehr anspruchsvoller Job. Jahr für Jahr mit einem Kollegen am gleichen Pult alles gemeinsam machen zu müssen, das verlangt ein ungeheures Maß an Selbstbeschränkung.

Wenn jetzt der NDR anriefe und Sie als Gast-Dirigent einladen möchte? Bei früheren Ex-Chefs ist das gang und gäbe.

Es gab Anfragen. Aber ich habe mir erlaubt, meinen Kalender anderweitig zu füllen: Ich dirigiere sehr viel in Paris. Ich bin regelmäßig im Amsterdamer Concertgebouw, mit den Wiener Philharmonikern habe ich ein sehr nettes Verhältnis.

Und falls sich die Hamburger Oper bei Ihnen melden würde ...?

Ich bin schon auch zu NDR-Zeiten gefragt worden. Ich kann verstehen, dass Journalisten immer suchen, wo etwas nach Skandal riecht. Mir ist das als Typ leider etwas fremd. Ich lebe gern entspannt, ich bin gern nett mit den Leuten, ich bin auch gern nett mit meinen Orchestern.

Eine aktuell sehr aktive Debatte zur Arbeit von Dirigenten ist die Frage: Wie geht man auf dieser Position mit Macht um? Wie benimmt man sich? Daniel Barenboim ist ein prominentes Beispiel. Ein anderer Kandidat: Plácido Domingo. Wie sehen Sie als Dirigent diese Debatte?

Die ist absolut notwendig und hat ganz viel auf den Weg gebracht, sowohl zum Thema #MeToo als auch die Machtstruktur-Debatte. Allerdings will ich ganz entschieden darauf hinweisen, dass man differenzieren muss. Wenn wir anfangen, alle in bestimmte Lager zu verteilen, wird sich wiederum nichts ändern. Dann bleiben alle in ihren angstbesetzten Refugien. Ich würde einen James Levine nicht mit jemandem wie Domingo, den ich gut kenne, in einen Topf werfen. Die Damen, die sich zu Domingo geäußert haben, haben sicher Grund und Anlass, das zu tun. Das ist ein Gentleman, der andere Menschen liebt, der kollegial ist, aber natürlich auch die Frauen umarmt hat. Es gab Schlangen vor Opernhäusern, Frauen, die einen Blick von ihm erhaschen wollten. Zu einzelnen Fällen kann ich nichts Konkretes sagen, aber wir müssen das differenziert betrachten, weil wir sonst nicht nur Karrieren, sondern Menschen auch als Person vernichten.

Konzert: 27.9., 20 Uhr, Laeisz­halle, Restkarten unter T. 35 76 66 66.