Fernab der Stadt beten Hunderttausende Flüchtlinge, dass Monster-Sturm “Gustav“ ihre Häuser verschonen möge. Wer sich in den nächsten Stunden noch auf der Straße aufhielte, dem drohen die Behörden mit Gefängnis.

New Orleans. Dunkle schwarze Wolken am Himmel und erste heftige Böen, fast menschenleere Straßen und patrouillierende Polizeiwagen: Die US-Metropole New Orleans glich am Montagmorgen einer Geisterstadt. Stunden, bevor Hurrikan "Gustav" an der Südküste von Louisiana auf Land traf, hatten die meisten Bewohner die Stadt verlassen. Auch aus der Umgebung flüchteten Hunderttausende ins Landesinnere. Insgesamt brachten sich nach Berichten des Senders CNN fast zwei Millionen Menschen in Sicherheit.

Die Behörden hatten die Zwangsevakuierung angeordnet, um die Menschen vor einer Katastrophe wie vor drei Jahren zu schützen, als Hurrikan "Katrina" rund 1800 Menschen in den Tod riss. Bürgermeister Ray Nagin hoffte, dass die nach "Katrina" größtenteils neu gebauten Deiche dem jetzt herannahenden Hurrikan standhalten würden. Nach letzten Vorhersagen deutete sich an, dass "Gustav" weniger heftig auf Land treffen würde als zunächst befürchtet worden war.

Im Blog des örtlichen Fernsehsenders WWL-TV drückte Zuschauer Carl Arredondo aus, was alle fühlten: "Es gibt ein paar gute Neuigkeiten. Zwar ist "Gustav" immer noch ein Hurrikan der Kategorie drei, aber er wird es vielleicht nicht mehr schaffen, die Kategorie vier zu erreichen, bis er aufs Land trifft. Er hat weder viel Zeit noch eine weite Strecke über Wasser übrig, um sehr viel stärker zu werden."

Weniger als 10 000 Menschen seien noch in der Stadt geblieben, zitierte der Gouverneur von Louisiana, Bobby Jindal, am Morgen den Polizeichef von New Orleans. Die meisten hatten mit dem nötigsten Gepäck per Auto, Bahn oder Flugzeug die gefährdete Region bis zum Sonntagabend verlassen. Doch Einige warteten bis kurz vor Schluss: Während Bürgermeister Nagin und seine Helfer noch drohten, Menschen, die sich in den nächsten Stunden auf der Straße aufhielten, ins Gefängnis zu stecken, tranken Hartgesottene noch in den Bars im berühmten French Quarter einen Cocktail oder rauchten eine Zigarette.

"Fast jede Bar war schon verrammelt, aber drinnen, in Johnny's White's bevölkerten ungefähr zehn bis 15 Gäste noch die Bar und ließen Songs in der Jukebox spielen", berichtete der Reporter eines örtlichen Fernsehsenders. "Und ein kleiner Hund saß vor der Bar und trank Wasser aus einem Napf." Das Lokal, so berichtete der Sender weiter, war schon während und nach "Katrina" für viele der Haupttreffpunkt.

Auf seinem Verwüstungszug durch die Karibik kostete "Gustav" bisher 95 Menschen das Leben. Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, lobte die Einwohner seiner Stadt, die alle Anweisungen der Behörden befolgt hätten. "Ich finde es toll, dass so viele Menschen sagen 'Wir als Amerikaner müssen das dieses Mal richtig machen'", sagte er. "Wir können es uns nicht leisten, das erneut zu vermasseln." Polizeikommandeur Mike Edmondson schätzte, dass 90 Prozent der Einwohner der Küste von Louisiana ins Landesinnere flohen.

Die Flucht von insgesamt fast zwei Millionen Menschen war die größte Aktion dieser Art in dem US-Staat überhaupt. Tausende weitere Menschen brachten sich in den Nachbarstaaten Mississippi, Alabama und Texas in Sicherheit. Insgesamt wurden für einen Küstenstreifen von 800 Kilometern Länge Warnungen ausgegeben.

Einige, die ursprünglich ausharren wollten, änderten in letzter Minute ihre Meinung. "Man ist hin- und hergerissen", sagte der 46-jährige Jerry Williams, der einen der letzten Busse aus New Orleans erwischte. "Geht man und macht sich Sorgen um sein Haus oder bleibt man und sorgt sich um sein Leben?" Andere wollten trotz aller Mahnungen bleiben und erklärten, inzwischen seien alle Hotels belegt.

"Gustav" bewegte sich nach Angaben von Meteorologen schneller als erwartet auf die Küste zu. Um 20 Uhr am Sonntagabend (Ortszeit; 2.00 MESZ) befand sich sein Zentrum rund 280 Kilometer südöstlich der Mississippi-Mündung. Gemessen wurden Windböen mit einer Geschwindigkeit von 185 Kilometern pro Stunde.

In Kuba, wo der Hurrikan am Sonntag auf Land traf, wurden rund 86 000 Häuser völlig zerstört und tausende weitere beschädigt. Berichte über Tote lagen nicht vor. Über dem Golf von Mexiko schwächte sich "Gustav" etwas ab, doch wurde damit gerechnet, dass er beim Auftreffen auf die US-Südstaaten am Montag abermals an Stärke gewinnen würde.

Auch die Politik blieb von "Gustav" nicht verschont. Die Republikaner kündigten eine Kürzungen ihres Nominierungsparteitags im US-Staat Minnesota an. Es würden nur die allernötigsten Programmpunkte abgehandelt, sagte der designierte Präsidentschaftskandidat John McCain. US-Präsident George W. Bush und sein Vize Dick Cheney sagten ihre geplanten Auftritte ab.

Betroffen von "Gustav" war auch die Erdölproduktion im Golf von Mexiko. Die Förderung von Öl wurde am Sonntag um 96 Prozent zurückgefahren, die von Erdgas um 82 Prozent. Die Kapazität der Raffinerien wurde um etwa 15 Prozent gesenkt.