Leitartikel

Cum-Ex-Affäre mutiert zum veritablen Sprengsatz vor der Wahl

| Lesedauer: 3 Minuten
Matthias Iken

Die neuen Enthüllungen taugen nicht zum Skandal, sind aber mehr als ein Sturm im Wasserglas.

Hamburg. Otmar Kury, der Anwalt von Max Warburg, spricht von einem Verdacht, der die Cum-Ex-Affäre noch einmal weitet: Die Berichterstattung könne die Hamburger Bürgerschaftswahl in manipulierender, unzulässiger Weise beeinflussen, so schreibt er.

Das ist scharfer Tobak. Aber das Timing und die Größe der Veröffentlichungen verwundern nicht nur Sozialdemokraten und den Warburg-Anwalt. Ganze zehn Tage vor der Wahl veröffentlichen „Panorama“ und die „Zeit“ umfangreiches Material zu den Cum-Ex-Geschäften der Bank von der Ferdinandstraße.

Manches ist neu, vieles aber auch altbekanntes Material eines Steuerskandals, der seit bald zwei Jahrzehnten ein schlechtes Licht auf Banken und Wirtschaftskanzleien wirft: Es geht um eine Steuergestaltung, die längst als Steuerbetrug gilt, sich nämlich Kapitalertragssteuern mehrfach erstatten zu lassen. Das war nicht kreativ, sondern kriminell.

Zehn Tage vor der Wahl mutiert ein Böller zu einem veritablen Sprengsatz – inzwischen haben alle Parteien die Cum-Ex-Problematik als Wahlkampfschlager in Hamburg erkannt. Zu Recht müssen sich die Sozialdemokraten kritische Fragen gefallen lassen: Warum haben die Finanzbehörden die Steuerschuld von Warburg im Jahr 2016 verjähren lassen? Warum hat Olaf Scholz ein Treffen mit dem Warburg-Banker Olearius verschwiegen? Und wieso nimmt SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs gleich mehrere Spenden aus dem Bankenumfeld an?

Cum-Ex-Affäre: Keine Belege für politische Einflussnahme

Das alles zeigt einen Mangel an politischem Feingefühl – mindestens. Wer bei Spenden und Finanzen instinktlos ist, öffnet Tür und Tor für Spekulationen, Unterstellungen und Verschwörungstheorien. Steuerverfahren und Spenden müssen stets sauber getrennt sein. Zur Not müssen Parteien auf Zuwendungen verzichten. Zudem sendet eine zu große Nähe der Politik zu Verfahrensbeteiligten ein verheerendes Signal an die Steuerverwaltungen, deren Autonomie unerlässlich ist. Wenn oben gekungelt wird, könnten sich Sachbearbeiter unten unter Druck gesetzt fühlen.

Bislang aber – und dieser Aspekt kommt in der Debatte zu kurz – gibt es keine Belege für eine politische Einflussnahme. Und auch die berechtigte Kritik mit dem Wissen das Jahres 2020 darf nicht die Handlungen von 2016 bewerten. Damals war noch nicht geklärt, ob das sogenannte Dividendenstripping überhaupt strafbar ist. Hinzu kommt die Fixierung auf Hamburg: Warburg ist einer von fünf Nebenbeteiligten in einem Verfahren, in dem zwei Briten angeklagt sind. Insgesamt haben mehr als 100 Banken sich auf Kosten des Steuerzahlers bereichert, übrigens beraten und begleitet von Großkanzleien.

Anders als viele andere Banken hat Warburg lange auf stur geschaltet und sich geweigert, Millionen an den Fiskus zurückzuzahlen. Das liegt auch daran, dass Max Warburg und Christian Olearius mit ihrem eigenen Vermögen haften. Die ebenfalls beteiligten Landesbanken wie die frühere HSH Nordbank haben die Kosten einfach weitergereicht an den Steuerzahler, Bankmanager der Privatbanken ihre Aktionäre bluten lassen. Das alles vermag Warburg nicht freizusprechen, aber es kann die Aufregung relativieren und das Geschehen einordnen. Auch Bürgermeister Peter Tschentscher taucht eher als Randfigur auf: Ihm sind bislang weder Treffen noch Anweisungen zuzuordnen. Deutlich kritischer ist die Rolle von Johannes Kahrs.

Und doch kann die Debatte helfen, die ungeheuerliche Moral vieler Banken und Großkanzleien in die Öffentlichkeit zu rücken. Der europaweite Cum-Ex-Skandal ist so monströs, dass er aus den Finanzteilen und Finanzausschüssen geholt und auf die Titelseiten und Marktplätze gebracht werden muss.

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