Deutschstunde

Wir sind von Anglizismen umzingelt

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Peter Schmachthagen

Die Coronakrise bedroht nicht nur die Menschen, sondern auch die deutsche Sprache, selbst beim kontaktlosen Osterfest.

Morgen werden wir Vollmond haben, den ersten nach dem 21. März. Es handelt sich um den „Ostervollmond“, denn am Sonntag danach feiern wir das Osterfest. Da der Mond sich in jedem Jahr an einem anderen Tag im frühen Frühling rundet, kann der Ostersonntag auf 35 verschiedene Daten zwischen dem 22. März (zuletzt 1818) und dem 25. April (zuletzt 1943) fallen. Dann ist der Winter überwunden, dann strömt das Volk ins Freie, verlässt die Häuser und die Städte.

Das war schon seinerzeit so, als Doktor Faust mit seinem Schüler Wagner seinen legendären Osterspaziergang machte, den Goethe in seinen bekannten Versen festgehalten hat. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche/ Durch des Frühlings holden, belebenden Blick.“ Schon diese Aussage hätte ich meiner Enkelin, als ich sie noch sehen durfte, nicht zu zitieren gewagt, weil ich die Frage fürchtete: „Opa, was ist ein Winter?“

Das pralle Osterleben werden wir in diesem Jahr wegen der Coronakrise nicht haben. Auch Doktor Faust war in seiner Lebensfreude bedroht, nämlich durch einen schwarzen Pudel, der ihn umkreiste. Er nahm ihn mit in sein Studierzimmer, wo sich herausstellte, dass des Pudels Kern zwar nicht vom Wildtiermarkt in Wuhan stammte, aber direkt aus der Hölle. Der Pudel entpuppte sich als der Teufel selbst, der die Gestalt des Mephisto angenommen hatte.

Das, was uns heute bedroht, sind Viren, kleinste Krankheitserreger mit dem Namen Sars-CoV-2, die mit der Atemluft von Mensch zu Mensch übertragen werden und weltweit eine tödliche Lungenkrankheit auslösen können. Deshalb herrscht in Deutschland Kontaktverbot außerhalb der eigenen Familie bei möglichst vollständiger Isolation der besonders gefährdeten Großeltern. Das verbietet in diesem Jahr massenhafte Spaziergänge und ein Gewimmel in Straßen, Feld und Flur. Als fast Achtzigjähriger kann ich nur bitten, sich daran zu halten, damit die ältere Generation nicht als Kollateralschaden beim Erreichen der Herdenimmunität geopfert wird.

Coronakrise kommt mit pandemischer Flut an Ausdrücken

Allerdings sind wir zurzeit nicht nur von Krankheitserregern umzingelt, sondern auch von Anglizismen. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die jeden Anglizismus für Vaterlandsverrat halten. Eine globale Wirtschaft, die es vor Kurzem noch gab (wirklich!), benötigt auch globale Ausdrücke, die nicht an jeder Staatsgrenze neu übersetzt werden müssen. Dafür bietet sich das Englische nun einmal an. Auch die digitale Welt fordert eine einheitliche Fachsprache. Wenn meine Programme nicht mehr auf dem heimischen Computer (engl. für Rechner) gespeichert sind, sondern irgendwo auf einem Server (engl. Speicher in einem Netzwerk), so hilft es wenig, den Service (engl. Kundendienst) in Seattle zu bitten, meine „Wolke zu reparieren“, sondern besser darum, die „Cloud uptodaten“.

Allerdings hat die Coronakrise als weltweite Pandemie (griech. Epidemie größeren Ausmaßes) auch eine pandemische Flut an Ausdrücken in die Nachrichten und Pressemitteilungen fallen lassen, die unter Umständen von Oma, der man einen Laptop (engl. kleinen, tragbaren PC) mit Webcam (engl. Computerkamera fürs Internet) auf die gehäkelte Spitzendecke des Mahagoni-Esstisches gestellt hat, nicht verstanden werden. Schon die Bezeichnung „Home­-Office“ lässt sich nicht einfach mit „Arbeitszimmer zu Hause“ übersetzen, wie die Lehrer es früher von der Steuer absetzen konnten. Ein Home-Office ist ein mit moderner Kommunikationstechnik ausgestattetes Büro im eigenen Haus, das übers Internet mit dem Firmennetz verbunden ist. Es wurde Zeit, die Schreibweise einzudeutschen und den Bindestrich wegzulassen. Jetzt sprechen wir von einem „Homeoffice“.

Als Speerspitze des virologischen Imperativs dient der Ausdruck „Social Distancing“, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Medien gedrückt hat. Wenn wir das Ungetüm einmal übersetzen, kommen wir zur „sozialen Distanzierung“. Wie unsinnig das ist, zeigt doch die Mahnung von Frau Merkel, gerade in Krisenzeiten den sozialen Zusammenhalt zu pflegen. Inzwischen spricht die WHO von „Physical Distancing“. Ich schlage vor, bei aller „Physical Closeness“ auf Deutsch ganz einfach „Abstand halten“ zu sagen.

Auch und gerade zu Ostern.

deutschstunde@t-online.de

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