Berlin. Drei Jahre nach dem islamistischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin ist das Land besser gewappnet. Aber noch nicht gut.

Über viele Jahre war der islamistische Terrorismus für Deutschland weit weg. In New York fallen die Twin Towers, in Afghanistan tobt ein Krieg gegen die Taliban, in Syrien mordet die Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Die Gewalt der Dschihadisten war woanders. Bis 2016.

Ein junger Afghane geht bei Würzburg mit einer Axt auf Fahrgäste in einem Regionalzug los. Ein junger Mann sprengt sich vor einem Konzert im bayerischen Ansbach in die Luft. Mehrere Menschen werden verletzt, niemand stirbt – außer der Attentäter selbst.

Terrorgefahr in Deutschland: Überforderter Sicherheitsapparat

Es waren erste islamistisch motivierte Angriffe in Deutschland, die aufschreckten. Wer in dieser Zeit mit Ermittlern bei Polizei und Nachrichtendiensten sprach, erlebte Nervosität. Zu viele Meldungen über gewaltbereite Islamisten und ihre möglichen Anschlagspläne prasselten auf einen Sicherheitsapparat ein, der überfordert war, unterbesetzt, falsch ausgerichtet.

Einen Apparat, der zerrieben war vom Gerangel zwischen Bund und Ländern. Der zwar eine Ahnung davon hatte, wie man sich jungen Rechtsextremen in der Schule oder im Jugendzentrum entgegenstellt, aber auch Scheuklappen, wenn es darum ging, Islamisten in den Fußgängerzonen beim Verteilen von Propaganda in die Schranken zu weisen.

Anschlag von Anis Amri war eine Zäsur

Es war die Zeit, in der Anis Amri, ein junger Asylbewerber aus Tunesien, erst auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden auftauchte, dann falsch bewertet wurde – und deshalb wieder vom Radar verschwand. Bis zum 19. Dezember 2016.

Politik-Korrespondent Christian Unger kommentiert die Lehren der deutschen Sicherheitsbehörden nach dem Berlin-Anschlag.
Politik-Korrespondent Christian Unger kommentiert die Lehren der deutschen Sicherheitsbehörden nach dem Berlin-Anschlag. © HA / A.Laible | Andreas Laible

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt war eine Zäsur. Zwölf Menschen starben. Von diesem Tag an war klar: Deutschland ist nicht weniger Ziel des islamistischen Terrorismus als andere Staaten. Und: Deutschland ist schlecht vorbereitet auf die Gefahr durch Dschihadisten.

Überwachung und Fußfessel statt Prävention und Bildung

Drei Jahre danach gibt es eine gute Nachricht – und eine schlechte. Die gute: Das Land ist besser aufgestellt, hat viel gelernt, Personal bei der Polizei aufgestockt. Millionen Euro fließen in Projekte, um Jugendliche aus der Spirale der Radikalisierung zu holen.

Die schlechte Nachricht: Noch immer dominiert in Deutschland eine Sicherheitsarchitektur, in der Überwachung und Fußfessel als Kampf gegen den Terror mehr Gewicht eingeräumt wird als Prävention und Bildung; in der viele Bundesländer zur Zusammenarbeit mit dem Bund getrieben werden müssen, weil sie um ihre Kompetenzen fürchten. Und weil die Bundesbehörden selbst noch überfordert sind mit der wachsenden Zahl von Extremisten, nicht nur im „globalen Dschihad“, sondern auch im rechten Spektrum.

Es ist gut, dass bei der deutschen Polizei Tausende neue Stellen geschaffen werden. Es ist richtig, dass Sicherheitsbehörden besseren Einblick in verschlüsselte Kommunikation bekommen müssen. Denn Terroristen verschicken keine E-Mails, kein Fax oder telefonieren über das Festnetz. Sie nutzen modernste Technik.

Schutz heißt vor allem Vernetzung

Und doch reicht es nicht, einen Sicherheitsapparat hochzurüsten. Neue Spezialeinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen vermitteln höchstens ein Gefühl des Schutzes. Am Ende kommen sie zu einem Anschlagsort meist viel zu spät.

Schutz vor Terror heißt drei Jahre nach dem Berlin-Attentat vor allem Vernetzung – nicht nur von Polizei und Nachrichtendiensten, sondern auch von Jugendämtern, Schulen und Moscheen.

Kampf gegen Extremisten heißt: Mut beweisen. Polizisten dürfen unbequeme Fälle nicht wegschieben, Lehrer radikale Jugendliche nicht ignorieren, Nachbarn nicht wegschauen, wenn vor ihrer Haustür Hass gestreut wird. Der Fall Amri zeigt: Viele Menschen treffen Terroristen, lange bevor sie zuschlagen. Wir alle sind das Warnsystem.