Der Frust der Bauern ist groß. Innerhalb weniger Wochen hat sich aus einer kleinen Facebook-Gruppe namens „Land schafft Verbindung“ eine Massenbewegung entwickelt. Schon im Oktober haben Bauern mit ihren Traktoren die Hamburger Innenstadt blockiert. Heute kommen sie wieder – und noch mehr Landwirte werden wohl mitmachen.
In der Bauernschaft brodelt es. Viele Landwirte haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. Oft sind es gerade die kleinen Familienbetriebe, also diejenigen Höfe, die dem verklärenden Blick des Großstädters auf die Lebensmittelproduktion noch am ehesten entsprechen: glückliche Kühe auf tiefgrünen Weiden vor backsteinernem Gutshof. Glückliche Kühe, die regelmäßig vom Landmann gestreichelt werden und dann irgendwann als Filet auf dem Tisch landen – aus Sicht der Großstädters am besten unter Umgehung des Schlachtvorgangs.
Zu wenig Regen, zu viel Bürokratie
So ist es natürlich nicht. Das wissen wir. Aber wie es genau ist in der Landwirtschaft, wollen die wenigsten wissen. Die Lebensmittelproduktion ist ein knallhartes Geschäft. Ob am Ende des Jahres ein Gewinn oder ein Verlust herausspringt, ist längst nicht mehr klar. Unsicherheit prägt die Branche. Drei Jahre in Folge hat es viel zu wenig geregnet.
Seit vielen Jahren geht den Bauern die Bürokratie auf die Nerven. Da ist die EU, die zwar zuverlässig Agrarzuschüsse zahlt, aber Schreibtischarbeit verlangt: Umfangreiche Dokumentationspflichten sind zu erfüllen. Und da ist all das, was der Gesetzgeber in Deutschland dazutut: Düngemittelverordnung, Pflanzenschutzgesetz mit dazugehöriger Sachkundeverordnung, Dauergrünlanderhaltungsgesetz mit dazugehöriger Pflugregelung, Richtlinie zur Anlage von Uferrand- und Erosionsschutzstreifen – um nur einige der vielen Regelwerke zu nennen, die der Landwirt zu befolgen hat.
Agrarpaket: Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte
Im September legte die Bundesregierung dann ein Agrarpaket auf, zu dem auch ein „Direktzahlungen-Durchführungsgesetz“ gehört – und ließ den Frust der Bauern explodieren. Die Maßnahmen mögen für Großstädter auf den ersten Blick harmlos wirken. In Schutzgebieten soll kein Glyphosat eingesetzt werden. Ein kleiner Teil der EU-Direktzahlungen an die Bauern soll als Prämie für besseren Umweltschutz eingesetzt werden. Doch für viele Landwirte reichte das aus, um zu sagen: „Jetzt reicht’s!“ Es war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Hinter den Riesen-Traktoren mit den großen Transparenten, die sich heute auf den Weg nach Hamburg machen, verschwindet ein wenig, dass die Bauern – ganz leise – auch gegen die eigene Verbandsführung protestieren. „Land schafft Verbindung“ ist stolz darauf, eine Graswurzelbewegung zu sein. „Wir stehen unter keinem Verband“, sagen die Initiatoren. Die stolzen Bauern haben ihren Treckerprotest bei den Kollegen in den Niederlanden abgeschaut.
Die Bauern demonstrieren, weil sie in Not sind
In dieser Graswurzelbewegung steckt eine Chance, aber auch eine Gefahr. Die Chance heißt Glaubwürdigkeit. Die Bauern demonstrieren, weil sie in Not sind – und nicht, weil ein Verband Macht demonstrieren will. Wir sollten sie ernst nehmen und ihnen zuhören.
Die Gefahr heißt Radikalisierung. In den Niederlanden haben wütende Bauern schon Absperrungen niedergewalzt und Autobahnen blockiert. So weit ist es in Deutschland noch nicht gekommen. Die Bauern sind gut beraten, bei gewaltfreien Protestformen zu bleiben. Denn noch ist das letzte Wort über das gefürchtete „Direktzahlungen-Durchführungsgesetz“ ja nicht gesprochen. Bei den anstehenden Beratungen im Bundestag sind viele Änderungen möglich. Am Ende wird aber auch die Landwirtschaft ihren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten müssen.
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