Warum wir es nicht ertragen, die vergehende Zeit zu spüren. Und wie mich dieses Gefühl im Zug 60 Euro gekostet hat.

Als Hobbysoziologin liebe ich es, morgens auf dem Weg zum Bäcker meine Mitmenschen zu beobachten. Eine typische Szene: Auf der Straße vor meiner Haustür fährt weit und breit kein Auto. Nur eine Fußgängerin steht an der roten Ampel – und wartet. In einem schlechten Westernfilm würde vor lauter Einsamkeit ein Strohballen über den Asphalt rollen. Die Frau beobachtet andere Passanten, die eilig über die Straße hetzen. Einer nach dem anderen. Am liebsten würde man ihr zurufen: Los! Worauf wartest du? Da kommt kein Auto!

Zehn Menschen (inklusive Vater mit Kind) sind bereits bei Rot gelaufen. Dann kommt auch sie ins Grübeln. Nervös schaut die junge Frau nach links, dann nach rechts. Soll sie einfach gehen, so wie die anderen? Oder weiter warten? Der innere Konflikt steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie zögert. So lange, bis die Ampel nach 20 Sekunden – einer gefühlten Ewigkeit – auf Grün springt. Erleichtert marschiert sie über die Straße.