Berlin. Die Bundesrepublik muss sich in der Rüstungspolitik ehrlich machen – und europakompatibel

Wenn es Ende 2018 richtig war, für Waffen einen Lieferstopp nach Saudi-Arabien zu verhängen, ist es konsequent, ihn jetzt zu verlängern. Der Anlass war die Ermordung des Journalisten Jamal Kha­shoggi. Man kann nicht sagen, dass der Fall inzwischen aufgearbeitet wäre.

Zuletzt hat die Uno Saudi-Arabien Behinderungen bei der Aufklärung vorgeworfen. Auch spielt Saudi-Arabien keine gute Rolle im Jemen-Krieg. Es bleibt unerlässlich, Druck auf die Führung in Riad auszuüben. Zumal die auf das Gesetz der Trägheit und Opportunität spekuliert; darauf, dass ihre Partner zum Alltag übergehen, zurück zum Geschäft.

Saudi-Arabien: Beschluss war begründet – und kühl kalkuliert

Der damalige Beschluss war moralisch begründet, aber auch kühl kalkuliert. Die Kanzlerin hat keinen generellen Boykott verkündet, der deutsche Exportschlager wie Autos einschloss, sondern sich auf ein Feld beschränkt, das weder für ihre Regierung noch für die deutsche Volkswirtschaft systemrelevant ist. Sie konnte es sich leisten, auf Waffengeschäfte zu pfeifen – die Franzosen nicht.

Unser Nachbar hat in den vergangenen Jahrzehnten viel von seinem Status als Industrienation und seiner technologischen Führerschaft eingebüßt. Aber zu den Branchen, in denen die Franzosen zweifellos wettbewerbsfähig sind, gehört die Rüstungsindustrie. Obendrein ist sie weitgehend in staatlicher Hand. Das erklärt, warum Merkel und Präsident Emmanuel Macron etwas aneinander vorbeireden. Sie haben unterschiedliche Nöte, Interessen, Traditionen.

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Franzosen lockerer bei Waffenexporten

Es gibt keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte in Deutschland und Frankreich. Die Franzosen sind lockerer, freihändiger bei Waffenexporten. Zu glauben, sie würden die strengeren, restriktiven deutschen Regeln annehmen, wäre eine Illusion. In Frankreich sind Rüstungsexporte Außenpolitik mit anderen Mitteln, die Ausfuhren sind entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Der weltweite Waffenhandel nimmt zu – auch in Deutschland.

Die französische Rüstungspolitik ist berechenbar und verlässlich für die Industrie. Hingegen wissen die deutschen Unternehmen oft nicht, woran sie sind. Es ist nicht konsequent, wenn die Behörden für ein und denselben Auftrag die Produktion, aber nicht die Ausfuhr genehmigen. Die Regierung hat eine Reform der Exportrichtlinien vor sich hergeschoben. Sie muss auf den Reset-Knopf drücken. Ein Neustart muss her.

Sie kann nicht im Kreis der Nato und in der EU auf mehr Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik pochen und selbstverständlich erwarten, dass sich alle anderen nach deutschen Standards richten. Wer gemeinsam Waffen entwickelt und beschafft, wer Kompetenzen und Aufgaben aufteilt, muss sich auch auf ein gemeinsames Wertefundament verständigen, auf das konkrete Beispiel angewandt: auf Kriterien für den Waffenexport.

Das Thema braucht breiten Konsens

Nach der Natur eines Kompromisses können sie nur strenger als in Frankreich, aber lockerer als in Deutschland ausfallen. Es kann zum Beispiel nicht sinnvoll sein, französische Waffenexporte zu stoppen, nur weil ein deutscher Zulieferer beteiligt ist. Da muss man tatsächlich eine Art Bagatellgrenze definieren und die Entscheidungshoheit über eine Ausfuhr dem Staat überlassen, der bei einem Projekt führend ist. Oder und genauso legitim: auf die Rüstungskooperation mit Frankreich verzichten. Entweder man hat gemeinsame Kriterien. Oder auch nicht.

Bisher sind die Rüstungsexporte ein Thema für den Hinterhof der Politik. Man redet ungern darüber, es gibt eine Diskrepanz zwischen öffentlichen Wahrheiten und Vier-Augen-Wahrheiten. Die Bundesregierung muss sich ehrlich machen. Das fällt der Union mit der SPD schwer, wäre aber auch mit den Grünen kaum leichter. So ein moralisch aufgeladenes Thema braucht breiten Konsens.