Meinung
Leitartikel

Denkzettel für Merkel beim Griechenland-Votum

| Lesedauer: 3 Minuten
Christian Kerl
Der Autor ist Berlin-Korrespondent des Hamburger Abendblatts

Der Autor ist Berlin-Korrespondent des Hamburger Abendblatts

Foto: privat

66 Abweichler mahnen die Kanzlerin: Bei der Griechenhilfe darf nicht länger getrickst werden.

Die Kanzlerin ist mit einem blauen Auge davongekommen. Die Zahl der Unionsabgeordneten, die allen Appellen zum Trotz das neue Hilfspaket für Griechenland abgelehnt haben, ist nur geringfügig höher als beim letzten Mal. Der befürchtete Autoritätsverlust von Kanzlerin, Finanzminister und Fraktionschef, der bei der intern befürchteten Zahl von bis zu 100 Abweichlern wohl eingetreten wäre, ist abgewendet. Auf eine solche Beschädigung ihrer Führungsleute wollten es viele, die bei CDU und CSU Zweifel haben am Kurs der Euro-Rettung, nicht ankommen lassen. Andererseits: Nicht ein Euro-Kritiker, der vor vier Wochen schon das Nein-Kärtchen zückte, hat sich jetzt von Merkel und Schäuble überzeugen und zur Zustimmung bewegen lassen.

Die stärkste Koalitionsfraktion bleibt also tief gespalten: Mindestens ein stabiles Fünftel ihrer Abgeordneten trägt Merkels Politik nicht mit. Der Rückhalt für diesen Kurs der Euro-Rettung bleibt brüchig, das ist nicht nur für die Kanzlerin ein Warnsignal: Merkel ist gezwungen, weiter zu lavieren – zwischen den massiven Vorbehalten hierzulande, die zeitweise selbst ihr Finanzminister mit seinem Plädoyer für den Grexit artikulierte und dem Drängen vieler EU-Partner, von denen sich Europas wichtigste Regierungschefin nicht isolieren will. Auch künftig wird die Kanzlerin also mehr Zugeständnisse für den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone machen, als sie gegenüber den Wählern und ihrer Partei einräumen mag. Schon jetzt ist dieser Spagat größer, als es der politischen Kultur des Landes zuträglich ist. Auch wer das dritte Hilfspaket für sinnvoll hält, muss sich Sorgen machen, wie bedenkenlos die Regierung den Bürgern die Kosten und Konsequenzen dieser Rettungspolitik verschweigt: Um kurzfristig Mehrheiten zu sichern, riskiert Merkel einen langfristigen Vertrauensverlust der Politik. So pochte die Kanzlerin bisher darauf, dass es ohne Beteiligung des Internationalen Währungsfonds am dritten Hilfspaket keine Zustimmung geben werde; jetzt fehlt diese Zusage des IWF, den Abgeordneten wird dennoch die Zustimmung abverlangt.

Merkel lehnt einen Schuldenerlass für Griechenland öffentlich ab, aber alles, was unter dem schillernden Begriff Schuldenerleichterung diskutiert wird, läuft am Ende genau darauf hinaus. Die Laufzeit der Kredite wird wohl um Jahrzehnte gestreckt, die Zinszahlungen beginnen viel später als vereinbart. So wird es immer wahrscheinlicher, dass Athen mindestens einen Teil seiner Schulden nicht zurückzahlen wird; nur die Bürger sollen es nicht merken. Um die Fassade zu wahren, bleiben die heutigen Steuerzahler (und Wähler) von den Lasten des heimlichen Schuldenschnitts verschont. Die Rechnung werden spätere Generationen begleichen müssen; in diesem Fall ist allerdings die Frage, ob sich der IWF auf solche Tricksereien einlässt. Er hat ja bereits schonungslos vorgerechnet, dass Griechenland seine die Wirtschaft lähmenden Schulden nicht wie geplant zurückzahlen kann.

Es gibt durchaus gute Gründe, Griechenland noch eine Chance im Euro einzuräumen. Aber die Bundesregierung muss endlich ehrlich sein und den Bürgern die wahren finanziellen und politischen Kosten dieser Euro-Rettung offenlegen. Die Taktik des Verschleierns und Ignorierens mag kurzfristig funktionieren, aber der Preis ist hoch: Diese Art der Euro-Rettung unterhöhlt die Glaubwürdigkeit der Politik und das Vertrauen in die verantwortlichen Akteure.

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