Die Aufgaben des neuen Fraktionschefs: Vertrauen gewinnen, Profil zeigen, Geduld haben

Was eine Wahlniederlage historischen Ausmaßes mit einer Partei anstellen kann, haben vor allem SPD und CDU schon häufiger erfahren, als ihnen lieb ist. Im Bund und in fast allen Bundesländern sind beide schon durch dieses tiefe und dunkle Tal der Tränen gegangen und haben dabei eine Faustformel geprägt: Demnach dauert es etwa zwei Wahlperioden, bis eine Partei eine Schlappe verdaut, sich neu aufgestellt und zur Regierungsfähigkeit zurückgefunden hat.

Wer nur die heutige Hamburger SPD mit ihrem alles überstrahlenden Bürgermeister sieht, vergisst ja leicht, woher diese Partei kommt. Nach dem Machtverlust 2001 brauchten die Sozialdemokraten fast ein Jahrzehnt, um sich zu berappeln, sie verschlissen mehrere Fraktionschefs und mehrere Vorsitzende (einer davon hieß Olaf Scholz), produzierten Skandale (Stimmenklau) und balgten sich um die letzten Fleischtöpfe – bevor 2010/2011 jener Olaf Scholz die Gunst der Stunde für eine fulminante Wende nutzte.

Bis auf den letzten Akt erinnert das sehr an die Hamburger CDU anno 2015. Sie hat mit der Wahl von André Trepoll zum neuen Fraktionschef zwar eine erste Weiche richtig gestellt, kann aber aus der Geschichte der SPD noch einiges lernen. Beide Parteien sind zwar nur bedingt vergleichbar, da die CDU in einer Großstadt wie Hamburg über ein geringeres Wählerpotenzial verfügt, nicht auf die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen einer Regierungspartei zurückgreifen kann und zudem mit 15,9 Prozent ein Niveau erreicht hat, von dem die SPD selbst in ihren düstersten 30-Prozent-Zeiten weit entfernt war. Dennoch geht es im Kern um das gleiche Problem: eine am Boden liegende Mannschaft aufzurichten und auf den Punkt fit zu machen.

Dieser Punkt, das ist die erste Lehre für die CDU, ist nicht 2015. Auch nicht 2016 oder 2017, sondern 2020. Es ist ja wie es ist: Wahlen in Hamburg sind in erster Linie Bürgermeisterwahlen. Wenn die CDU 2020 etwas holen will, muss sie den Menschen in fünf Jahren einen Kandidaten präsentieren, der dem Amtsinhaber etwas entgegenzusetzen hat. Die Frage, welche Person mit welchem Profil das sein sollte, hängt von vielen Faktoren ab: Ist Scholz dann immer noch so beliebt? Oder sind die Bürger des „ordentlich Regierens“ überdrüssig? Ist dann vielleicht ein ganz anderer Typ gefragt? Eine Frau? Jung oder alt? Liberal oder konservativ? Heute ist das nicht einmal in Ansätzen zu beantworten. Wer 2001 prophezeit hätte, dass 2011 Olaf Scholz die Herzen der Hamburger zufliegen, wäre milde belächelt worden. War aber so.

Für André Trepoll ist das eine gute Ausgangsposition: Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Dietrich Wersich startet er nicht als kommender Bürgermeisterkandidat, sondern schlicht als Fraktionschef, der den Laden erst mal zusammenhalten und zum Laufen bringen muss. Gelingt ihm das – und seine mal klug-zurückhaltende, mal kernig-zupackende Art lassen das erwarten –, wird es ihm nicht schaden. Aber weder Trepoll noch der künftige Parteichef noch sonst jemand in der CDU muss sich heute Gedanken über Kandidaturen machen. Die Frage wird 2019 zu entscheiden sein.

Eine weitere Lehre ist, wie die SPD nach 2001 ihre offene Flanke im Bereich der Inneren Sicherheit geschlossen und dabei Typen wie Michael Neumann und Andreas Dressel herausgebildet hat, die glaubhaft für eine Haltung standen. Für die CDU, die aus Wählersicht derzeit in keinem Kompetenzfeld führend ist, gilt analog dazu: Sie braucht jetzt keine abgehobene Programmdebatte und keine demonstrative Neuausrichtung, sondern sie muss ganz schlicht auf ihren Kerngebieten wie Inneres, Wirtschaft und Wissenschaft Präsenz zeigen, Vertrauen zurückgewinnen und Persönlichkeiten mit Profil entwickeln. Das ist die erste Aufgabe des neuen Fraktionschefs, und das wird schwierig genug. Alles Weitere ergibt sich.