Mit einem möglichen Linksruck könnte das Land das Vertrauen seiner Geldgeber verlieren

Der Anteil Griechenlands an der Wirtschaftsleistung der 28 EU-Staaten betrug 2014 bescheidene 1,3 Prozent. Das griechische Bruttoinlandsprodukt ist seit 2008 kontinuierlich gesunken und wird sich in diesem Jahr aufgrund der straffen Reformen wohl leicht erholt haben. Zum Vergleich: Der Anteil Deutschlands lag im ausgehenden Jahr bei fast 21 Prozent. Es ist notwendig, auf diese Relationen hinzuweisen, um nach der gescheiterten Präsidentenwahl in Athen nicht den Eindruck entstehen zu lassen, das Votum der 300 zerstrittenen griechischen Parlamentarier sei nun dazu geeignet, die ganze Europäische Union in den Abgrund zu reißen.

Bedauerlich ist es dennoch, dass die Athener Abgeordneten es auch zum dritten Mal nicht vermochten, ihre Querelen zugunsten der politischen Stabilität zurückzustellen. Griechenland ist zwar nicht Italien, Spanien oder gar Frankreich, deren politisch-wirtschaftliche Dysfunktionalität die EU ernsthaft gefährden könnten. Dennoch könnte die gescheiterte Präsidentenwahl für Europa durchaus unangenehme Konsequenzen haben.

Zunächst einmal sind die Griechen nun innerhalb von vier Wochen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Zwar hat das Linksbündnis Syriza jüngst etwas an Zuspruch verloren, doch könnte diese Partei, zu deren Gründern auch maoistische und trotzkistische Gruppen gehörten, zur stärksten Kraft im Parlament aufsteigen und den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten.

Syriza-Chef Alexis Tsipras hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er gar nicht daran denkt, die enormen Schulden Griechenlands zurückzuzahlen, sondern dass er einen Schuldenschnitt anstrebt und die von den Geldgebern verlangten Reformen zurückdrehen möchte. Ein solches Vorgehen würde das gigantische und ohnehin nicht unumstrittene Rettungssystem von EU und Internationalem Währungsfonds, die Griechenland mit 240 Milliarden Euro vor dem Kollaps gerettet haben, ad absurdum führen. Welcher Politiker könnte künftig vor seinen Wählern Überweisungen an ein Land rechtfertigen, das zunächst die Hand aufhält, sich dann aber aus allen vertraglichen Verpflichtungen stiehlt?

Griechenland war nur zum Teil Opfer der weltweiten Finanzkrise; viele seiner Probleme sind hausgemacht – sei es der mangelnde Wille der sklerotischen, in gegenseitigen Abhängigkeiten gefangenen griechischen Politik zu grundlegenden Reformen, sei es die horrende Korruption im Land, der aufgeblähte, nepotische Beamtenapparat oder die Weigerung von bis zu einem Drittel der Bürger, Steuern zu zahlen. Und ausgerechnet US-Banken wie Goldman Sachs und JPMorgan, die zu den Hauptverursachern der Weltkrise gehörten, hatten nach Recherchen der „New York Times“ Athener Regierungen ein Jahrzehnt lang dabei geholfen, das wahre Ausmaß der Staatsverschuldung zu verschleiern.

Das Problem ist, dass die viel zu spät in Angriff genommenen Reformen und Sparmaßnahmen vor allem jene Griechen treffen, die wirtschaftlich ohnehin schon auf den Felgen laufen. Indem als Erstes Löhne und Sozialleistungen gekürzt wurden, wurde die Last der internationalen Auflagen auf die Schwächsten abgewälzt. Die Wut der betroffenen Menschen ist verständlich, und ein behutsames Gegensteuern wäre angebracht.

Doch eine Rückkehr zur alten Praxis sozialer Wohltaten als politische Werbegeschenke, wie sie Syriza offenbar anstrebt, könnte die ersten Anzeichen einer Konsolidierung wieder zunichte machen. Zudem müsste sich ein Wahlsieger Tsipras wohl auf die schwierige Suche nach einem Koalitionspartner machen. Entgegen dem Umfragevotum seiner Bürger, die mehrheitlich keine Neuwahlen wollen, hat das Athener Parlament für eine Phase der Unsicherheit, wenn nicht gar des politischen Chaos votiert.