Auch Durchschnittsverdiener müssen die Börse wiederentdecken – zur Altersvorsorge

Er hat es erneut geschafft, der Deutsche Aktienindex (DAX). Gestern ist das wichtigste Börsenbarometer des Landes – zumindest kurzzeitig – über die fast schon magische Marke von 10.000 Punkten geklettert. Dabei hatten so einige Anleger noch vor wenigen Wochen das Vertrauen in die Börse verloren. Schwache Konjunkturaussichten sorgten Mitte Oktober für einen DAX-Absturz auf nahezu 8500 Zähler. Warum der Umschwung? Und wird er nachhaltig sein?

Der Grund für den Höhenflug ist eher simpel. Es fehlen die alternativen Anlagemöglichkeiten. Ob Tagesgeld, kurzfristiges Festgeld oder klassisches Sparbuch – kaum eine Bank oder Sparkasse zahlt noch mehr als ein Prozent Zinsen. Die Durchschnittsrendite liegt deutlich darunter. Erste Banken verlangen sogar schon einen Strafzins von reichen Privatkunden und Unternehmen, die ihr Geld weiterhin in klassischer Form sparen wollen. Die Immobilienmärkte sind überhitzt, die Preise kaum noch zu bezahlen. Und Staatsanleihen werfen ebenfalls so gut wie keine Rendite mehr ab, wenn sie einen gewissen Grad an Sicherheit bieten sollen.

Also Aktien! Schaut man auf die langfristige Entwicklung der Börse in Deutschland, kann man als Anleger – zumindest auf den ersten Blick – wenig falsch machen. So ist der DAX in den vergangenen fünf Jahren um fast 100 Prozent gestiegen. Allerdings hat es zwischendurch auch Phasen gegeben, in denen der Index massiv an Wert verloren hat. „Der erfolgreiche Investor hat sehr viel Geduld, er kauft weit unter dem fairen Wert und verkauft weit über dem fairen Wert“, sagte Investorenlegende Warren Buffett. Stellen sich nur zwei Fragen: Wie viel Geduld ist tatsächlich notwendig? Und was ist der faire Wert? Um diese Fragen richtig zu beantworten, muss man sich sehr intensiv mit den Unternehmen, deren Anteile man erwirbt, beschäftigen. Und da der Aktienkauf immer auch ein wenig mit Glück zu tun hat, sollte man seine Anlagesumme möglichst breit streuen, nicht nur auf einen oder zwei Titel setzen.

Auch wenn der Kauf von Aktien mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden ist, gehören sie heute zu einer umsichtigen Vermögensanlage zwingend dazu. Denn die Niedrigzinsphase wird in Deutschland noch viele Jahre anhalten. Und mit Blick auf seine Altersvorsorge sollte dem Anleger daran gelegen sein, zumindest eine Rendite zu erzielen, die oberhalb der Inflationsrate liegt. Einige Banker empfehlen ihren vermögenden Kunden bereits eine Aktienquote von 100 Prozent. Dieser Ratschlag ist sicherlich für Durchschnittsverdiener weniger sinnvoll, aber er zeigt, dass Deutschland reif ist für eine neue Aktienkultur.

Bei nicht wenigen Menschen sind die Erinnerungen an den Aktiencrash nach dem Platzen der New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende noch frisch. Damals haben viele Aktionäre Geld und Vertrauen in die Börse verloren. Doch es wäre fatal, wegen der einst gemachten Erfahrungen Aktien für immer zu meiden. Man sollte stattdessen die richtigen Schlüsse aus der damaligen Talfahrt ziehen. Gier war um die Jahrtausendwende für viele Anleger der falsche Ratgeber bei ihrer Kaufentscheidung. Unternehmen, die erst wenige Monate am Markt waren, versprachen irrational hohe Renditen. Die Börse wurde zum Wettbüro.

Heute ist der Aktienmarkt von einer Überhitzung weit entfernt. Deutsche Standardwerte sind im internationalen Vergleich eher niedrig bewertet, haben Potenzial nach oben. Einen sicheren Tipp gibt es dennoch nicht an der Börse. Aktienkauf ist und bleibt mit Risiko verbunden. Aber man kann es zumindest reduzieren, indem man nicht auf das schnelle, sondern das solide Geld setzt. Oder um es erneut mit Warren Buffett zu sagen: „Eine Aktie, die man nicht zehn Jahre zu halten bereit ist, sollte man nicht zehn Minuten lang besitzen.“

Der Autor leitet das Wirtschaftsressort beim Hamburger Abendblatt