Der Terror des IS bedroht auch Deutschland. Doch wir sind schlecht gerüstet

Der Aufstieg der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak aus einem Fähnlein Aufständischer in Mesopotamien zu einer veritablen Regionalmacht ist beispiellos in der Geschichte des Terrorismus. Im Gegensatz zu al-Qaida mit ihrer Taktik der Einzelanschläge agiert IS wie eine reguläre Invasionsarmee, deren Ziel es ist, Territorium zu erobern und zu halten. Durch die Ausrufung eines Kalifats hat IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi eine scheinbare staatliche wie religiöse Legitimation geschaffen, die äußerst attraktiv für Dschihadisten auf der ganzen Welt ist.

Die grausame Taktik des IS, in jedem eroberten Dorf Menschen zu köpfen, zu kreuzigen oder lebendig zu begraben, ist wohlkalkuliert und Terror im Wortsinn: Es dient dazu, jeden Widerstand durch Schrecken im Voraus zu brechen. Auch die Ermordung westlicher Geiseln ist Kalkül: Damit hat IS dem Westen offen den Fehdehandschuh hingeworfen. Dass nun Tausende Kampfeswillige in die Reihen des IS strömen, zeigt, dass diese zynische Rechnung aufgeht. Dschihadisten von Tschetschenien bis Saudi-Arabien wollen sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, eine Rechnung vor allem mit dem verhassten Amerika zu begleichen. Das Motto ist simpel, aber wirksam: viel Feind, viel Ehr.

Ein schockiertes Frankreich macht nun eine Erfahrung, die bald auch auf uns Deutsche zukommen könnte: Mit der bestialischen Ermordung des Bergführers Hervé Gourdel östlich von Algier hat der Krieg auch die Franzosen erreicht. Bemerkenswert ist, dass es sich bei den Mördern um eine algerische Gruppe ehemaliger Al-Qaida-Kämpfer handelt, die sich unter dem Namen „Soldaten des Kalifen“ dem IS unterstellt haben. Zwei deutsche Segler sind in der Hand der philippinischen Terrorgruppe Abu Sayyaf, die bislang ebenfalls al-Qaida nahestand. IS und al-Qaida sind erbitterte Rivalen im Kampf um Macht und koranische Deutungshoheit. Doch es zeigt sich, dass die menschenverachtende Brutalität des IS al-Qaida immer mehr Anhänger abnimmt. So wie Abu-Sayyaf-Terroristen in saudischen Lagern geschult wurden, so erhielt auch IS zunächst massive Unterstützung durch die sunnitischen Mächte in Saudi-Arabien, Katar und Kuwait. Sie hofften, dadurch die den Schiiten nahestehende alawitische Regierung von Despot Baschar al-Assad in Damaskus – und indirekt den schiitischen Iran – zu schwächen. Inzwischen jedoch ist der saudischen Monarchie klar geworden, dass Tausende Saudis die Mehrzahl der ausländischen IS-Kämpfer darstellen. Viele von ihnen werden mit Kampferfahrung nach Hause zurückkehren, um sich dort gegen das Herrscherhaus zu wenden, das bereits al-Qaida-Mitgründer Osama bin Laden als dekadent und prowestlich verhasst war. Der Konflikt ist hochkomplex. Die Frontlinien verlaufen zwischen dem IS und der westlichen Kultur, zwischen Sunniten und Schiiten, aber auch innerhalb des sunnitischen Lagers. Und unser Verbündeter Saudi-Arabien ist kaum weniger intolerant und rüde in seinen Mitteln als der IS.

Für Deutschland, das seine Armee durch politische Fehleinschätzungen und organisatorische Inkompetenz bis auf die Felgen abgerüstet hat, stellt die doppelte Bedrohung durch IS und ein aggressives Russland ein böses sicherheitspolitisches Erwachen dar. Unser kleiner Nachbar Niederlande beteiligt sich bereits mit Kampfflugzeugen und Soldaten am Widerstand gegen die terroristische Bedrohung. Auch wir sind gefordert – Menschen sterben, eine ganze Region ist bedroht, und der IS hat deutlich gemacht, dass das Kalifat auch auf Europa ausgedehnt werden soll. Es ist ein Kampf um unsere Grundwerte. Doch Deutschland schafft es aufgrund maroder und fehlender Flugzeuge nicht einmal, rechtzeitig ein paar Tonnen ausgemustertes Zeug und eine Handvoll Ausbilder nach Kurdistan zu schicken.