Die Betreiber der Atomkraftwerke dürfen nicht aus der Verantwortung entlassen werden

Ehrlichkeit und Transparenz gab es selten im Zusammenhang mit der Atomkraft in Deutschland. Was der Aufbau dieser Technologie hierzulande gekostet hat und was ihr Abbau letztlich kosten wird, weiß mutmaßlich kein Mensch auf Erden. Nicht einmal der tägliche Gewinn, den E.on, RWE, Vattenfall und Energie Baden-Württemberg aus dem regulären Betrieb ihrer Reaktoren in den vergangenen Jahrzehnten gezogen haben und immer noch ziehen, ist bekannt. Die Zahlen werden von einem kleinen Kreis von Eingeweihten in den Unternehmen seit jeher verschwiegen. Eine Million Euro Betriebsgewinn am Tag ist eine gängige Durchschnittsschätzung von Experten, bestätigt wird das von den Konzernzentralen nicht. Das Betriebsgeheimnis steht höher als das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit bei einem der gesellschaftlich umstrittensten Themen überhaupt.

Die Größenordnungen von Kosten, Gewinnen und Verlusten rund um die Atomkraft aber werden in den kommenden Jahren eine wachsende Rolle spielen. Wenn es, wie der „Spiegel“ berichtet, tatsächlich einen Plan von E.on, RWE und Energie Baden-Württemberg gibt, die Abwicklung der Technologie einer Stiftung öffentlichen Rechts zu überlassen, würden die Versorgungsunternehmen damit weiterhin ihrer altbewährten Linie folgen: die Gewinne zu privatisieren und die Kosten zu sozialisieren. Den Profit streichen die Aktionäre der Konzerne ein, die Lasten trägt der Steuerzahler. So war es immer, seit kommerzielle Atomkraftwerke in Deutschland Strom liefern.

Die öffentliche Hand zahlte nicht nur einen wesentlichen Teil bei der Entwicklung von Reaktoren in den 50er- und 60er-Jahren. Sie stand auch gerade für die Kosten von Polizeieinsätzen, die zum Beispiel bei den Großdemonstrationen gegen die Castor-Transporte nach Gorleben in den 90er-Jahren mehr als 100 Millionen Mark betrugen – je Einsatz. Bund und Länder zahlten für den Abriss der DDR-Atomkraftwerke nach der Einheit und für die Sanierung maroder Atommülllager wie Morsleben und Asse, sie zahlten Beiträge für internationale Organisationen wie Euratom und für die Folgeschäden der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Und die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke profitieren von steuerfreien Rückstellungen für den Abriss der Reaktoren wie auch zur späteren Finanzierung der Atommüll-Endlagerung. Mit diesen Summen kauften sich die Versorgungskonzerne gern in andere Branchen ein, in den 90er-Jahren etwa in die frisch privatisierte und sehr lukrative Telekommunikationswirtschaft. Eine Greenpeace-Studie kalkulierte den geldwerten Vorteil der Atomkraftbranche zwischen 1970 und 2012 auf insgesamt 213 Milliarden Euro, gemessen in Preisen von 2012. Die tatsächliche Summe mag niedriger liegen. In jedem Fall aber muss man sie im Zusammenhang mit den Milliardengewinnen bewerten, die den Versorgungsunternehmen auch aus ihren Atomkraftwerken erwuchsen.

Die Atomkraft war aus eigener Kraft nie wirtschaftlich. Der Bau neuer Atomkraftwerke in Großbritannien macht auch das heutzutage deutlich: Für den Betrieb der zwei neuen geplanten Reaktoren im westenglischen Hinkley Point soll der künftige Betreiber, der französische Konzern EdF, für 35 Jahre eine Vergütung erhalten, die doppelt so hoch liegt wie der gängige Strommarktpreis vor Ort. Hinzu kommt ein Inflationsausgleich.

Der Plan für einen Abwicklungsfonds ist eine ökonomische Bankrotterklärung der Atomkraftlobby in Deutschland. Gut möglich, dass die Steuerzahler in den kommenden Jahrzehnten letztlich doch zuschießen müssen, weil niemand die Abrisskosten für die Atomkraft realistisch kalkulieren kann. In keinem Fall aber darf der Staat dabei die Eigentümer der Stromkonzerne aus ihrer langfristigen Verantwortung entlassen.