Bundesregierung lehnt Stiftung für Abriss von Kraftwerken und Endlagerung von radioaktivem Müll ab. Länderregierungen sehen hingegen Vorteile

Hamburg. Eine Art „Bad Bank“ für die Atomwirtschaft, eine Stiftung für die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland – mit einem Bericht über entsprechende Pläne der Energiewirtschaft hat der „Spiegel“ eine Diskussion ausgelöst. Die Konzerne E.on, RWE und Energie Baden-Württemberg (EnBW) wollen, so schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin, das Geschäft ihrer noch laufenden Reaktoren sowie Rückstellungen in Höhe von rund 36 Milliarden Euro in eine öffentlich-rechtliche Stiftung des Bundes einbringen. Diese Stiftung würde in den kommenden Jahrzehnten die Kosten für den Abriss der Atomkraftwerke und für die Finanzierung der Atommüll-Endlagerung tragen. Sämtliche Risiken für die gesamten Kosten, deren Höhe sich längst nicht absehen lässt, lägen dann allerdings bei der öffentlichen Hand.

Die drei Versorgungsunternehmen, die derzeit insgesamt noch neun Reaktoren in Deutschland betreiben, haben diesen Plan bislang nicht kommentiert, auch am Montag lehnten sie eine Stellungnahme ab. Die Bundes- und verschiedene Landesregierungen äußerten sich hingegen zu dem Bericht. „Es gibt weder Verhandlungen noch Beschlüsse zu diesem Thema“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium betonten ebenfalls, es gebe hierzu keinen Kontakt mit den Unternehmen. Bisher sind die Atomkonzerne für den sicheren Abriss der Reaktoren und die Endlagerung des Atommülls verantwortlich. „Für uns ist entscheidend, dass die Rückstellungen verfügbar sind, sobald sie benötigt werden“, sagte der Sprecher von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die seit Jahrzehnten eng in das Thema Atomkraft involviert ist, kritisierte den vorgeblichen Plan der Energiekonzerne am Montag scharf: „Die Energiekonzerne wollen sich auf Kosten der Steuerzahler möglichst billig aus ihrer Verantwortung für die teure Akw-Entsorgung stehlen“, sagte Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl. „Offenbar rechnen sie damit, dass die Folgekosten der Atom-Ära deutlich höher werden als bisher veranschlagt. Die derzeitige Rückstellungspraxis ist weder insolvenzsicher noch hat der Staat Zugriff auf die Gelder.“ Schon 2012 hatte Greenpeace vorgeschlagen, die Kosten für Rückbau und Entsorgung über einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu regeln, in den auch die Rückstellungen der Konzerne fließen sollten. Dem damaligen Konzept zufolge sollten die Betreiber der Atomkraftwerke gleichwohl nicht dauerhaft von ihrer Verantwortung entlastet werden. In der Greenpeace-Studie von vor zwei Jahren waren die Kosten für die Abwicklung der Atomkraft in Deutschland bereits mit 44 Milliarden Euro kalkuliert worden.

Auch die Umweltschutzorganisation BUND hatte früher bereits eine Fondslösung für die Altlasten der Atomkraft-Nutzung ins Gespräch gebracht. „Ein solcher Fonds wäre geeignet, die Rückstellungen zu schützen, sollte ein Konzern insolvent sein“, sagte ein Sprecher des BUND am Montag. Auch sei damit gewährleistet, dass diese Summen bei Bedarf sofort zur Verfügung stünden, statt von Unternehmen langfristig angelegt und damit nicht greifbar zu sein. Keinesfalls aber sollten damit, wie bei dem jetzigen Vorschlag, alle weiteren Risiken dem Staat aufgebürdet werden dürfen.

Einzelne Landesregierungen äußerten sich am Montag hingegen abwägend bis zustimmend zu einer möglichen Stiftungslösung für die Hinterlassenschaften der Atombranche. Die Länder sind letztlich betroffen, wenn Atomkraftwerke auf ihrem Territorium abgerissen werden müssen oder wenn ein jeweiliges Land – nach der geplanten Erkundung im kommenden Jahrzehnt – zum Standort für ein Atommüll-Endlager werden sollte.

Der Politik erwachsen mit der geplanten Abwicklung der Atomkraft in Deutschland bis zum Jahr 2022 eine Reihe wirtschaftlicher und rechtlicher Risiken. E.on und RWE klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf 15 Milliarden Euro Schadensersatz im Zuge des Atomausstiegs, den die Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011 beschlossen hatte. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall wiederum will vor einem internationalen Schiedsgericht in Washington drei Milliarden Euro Schadensersatz für die vorzeitige Stilllegung seiner beiden Atomreaktoren Brunsbüttel und Krümmel erstreiten. Die Brennelementesteuer des Bundes schließlich hatte das Finanzgericht Hamburg vor einigen Wochen für verfassungswidrig erklärt.

„Wir müssen einen sicheren Weg finden. Der kann nicht so aussehen, dass am Ende der Steuerzahler die ganze Angelegenheit übernimmt“, sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Die Politik könne allerdings „nicht warten, bis die Unternehmen am Ende pleite sind“. Deshalb müsse diskutiert werden, „ob es zum Beispiel eine Möglichkeit gibt, einen sicheren Fonds aufzubauen, aus dem man dann auch nachhaltig entsprechend die Altlasten beseitigen kann“. Allerdings dürften die Konzerne nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ein Sprecher des Umweltministeriums von Baden-Württemberg sagte: „Unsere deutliche Skepsis überwiegt. Man müsste aber schon auch schauen, wo die Vorteile liegen könnten.“

Auch der Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, hält Überlegungen für sinnvoll, die Atomkraftwerke in eine Bundesstiftung einzubringen. „Das ist ein prüfenswerter Vorschlag“, sagte er der „Rheinischen Post“. Vor einigen Wochen hatte Vassiliadis bereits eine ähnliche lautende Fondslösung für die Kohlekraft angeregt. Kohlekraftwerke sollten, so der Gewerkschafter, im Zuge der Energiewende als eine Art eiserne Reserve in eine staatliche Verstromungsgesellschaft eingebracht werden, um einen sicheren Übergang zu den erneuerbaren Energien zu gewährleisten.