Wie Besetzer und Eigentümer der Roten Flora sich gegenseitig hochschaukeln

Es gibt wenige Orte in der Hansestadt, die so polarisieren wie die Rote Flora. Für die einen ist das seit einem Vierteljahrhundert besetzte ehemalige Varieté-Theater ein Schandfleck und rechtsfreier Raum; für die anderen ein alternatives Kulturzentrum, das den Lebensraum Schanze vor einer Degeneration zum Rummelplatz verhindert hat. Beide Seiten liegen nicht falsch – und zeigen damit schon die komplizierte Gemengelage auf.

Seit einigen Monaten ist der Streit um die Immobilie am Schulterblatt noch komplizierter geworden. Und könnte pünktlich vor Weihnachten eskalieren. Nun rächt sich das Lavieren der Senate in mehr als zwei Jahrzehnten: 1992 stellte der damalige SPD-Senat den Besetzern das Ultimatum, binnen sechs Wochen einen Nutzungsvertrag mit der Stadt zu unterzeichnen, sonst werde die Flora geräumt. Daraufhin verhandelte man monatelang – weder kam es zur Einigung noch zur Räumung. Das Problem wurde einfach vertagt. 2001 flüchtete Rot-Grün aus der Verantwortung. Aus Angst vor dem Rechtspopulisten Ronald Schill, der die Rote Flora zum Wahlkampfthema machen wollte, verkaufte der Senat das Haus zum Spottpreis von knapp 190.000 Euro an den selbst ernannten „Kulturinvestor“ Klausmartin Kretschmer.

13 Jahre später rächt sich dieser plumpe Versuch, Frieden zu erkaufen. Denn der Kulturinvestor von einst entpuppt sich nun als einfacher Investor. Und der will Rendite erzielen, vermutlich muss er es sogar. Ihm vorzuwerfen, nun die Flora verkaufen zu wollen, klingt vor allem aus Politikermund bigott.

Und doch muss sich Klausmartin Kretschmer Vorwürfe gefallen lassen. Wie er derzeit versucht, den Kaufpreis in die Höhe zu treiben, ist schwer erträglich. Der Investor schürt das Feuer, um die Stadt unter Druck zu setzen. Vor einigen Wochen gab er bekannt, die Rote Flora in ein sechsstöckiges Kulturzentrum mit Konzerthalle zu verwandeln. Bis heute aber fehlen offenbar die nötigen Unterlagen für sein groß angekündigtes Vorhaben. Nun fordert Kretschmer die Besetzer auf, „mein Eigentum sofort zu räumen“. Sollte dies nicht bis zum 20. Dezember geschehen, will er räumen lassen. Der Termin dürfte nicht zufällig gewählt sein: Seit Monaten ruft die Rote Flora am 21. Dezember zur einer großen Solidaritätsdemo für die Besetzer auf. In verschiedenen Sprachen wird im linken bis linksextremistischen Spektrum für den Sonnabend vor Weihnachten getrommelt – thematisch deckt die Demonstration alle Herzensthemen der Bewegung ab: Neben der Verteidigung der Roten Flora geht es auch um die Esso-Häuser, gegen „rassistische Zustände“ und für Bleiberecht für alle.

Kretschmer mobilisiert mit seiner Räumungsdrohung zusätzlich. Der Besitzer und die Besetzer der Roten Flora schaukeln sich gegenseitig hoch – sie benötigen einander offenbar als Feindbilder. Die einen freuen sich über die Rückkehr in alte Schützengräben, die Solidarisierung aus dem In- und Ausland, vielleicht sogar über den Krawall, der andere freut sich über die vermeintliche Verbesserung seiner Verhandlungsposition. Auf der Strecke bleibt der innere Frieden – und am Ende möglicherweise auch die Rote Flora. Denn die Logik der Eskalation könnte in der Räumung des besetzten Zentrums gipfeln.

Das wäre ein Verlust für die Hansestadt. Denn in den vergangenen Jahren war das Kulturzentrum weniger ein Zentrum der Gewalt als eher die Kulisse der Gewalt erlebnisorientierter Chaoskids. Weder muss man die Rote Flora mögen noch ihre plakatierten Parolen teilen – eine Stadt wie Hamburg aber bedarf eines Stachels im Fleisch, bedarf der Reibung, die aus gegensätzlichen Positionen kommt. Eine weltoffene Stadt kann eine Flora aushalten. Schwer auszuhalten ist hingegen das Kalkül der Brandstifter und das Geschäft der Polarisierer.