Es klagt auf Gleichbehandlung im Alphabet. Handelt es sich bei diesem Buchstaben nun um einen Vokal oder um einen Konsonanten?

Vokale (Selbstlaute) von Konsonanten (Mitlauten) zu trennen sollte eigentlich keine Schwierigkeit bereiten. Und dennoch gibt es, wie wir in der letzten Folge gesehen haben, einige Stolperfallen. Da wären im Deutschen die Umlaute, die so deutsch sind, dass sie keinen sprachwissenschaftlichen Fachbegriff aus dem Griechischen oder Lateinischen abbekommen haben. Auch die Diphthonge (Doppelvokale) wie ai, ei, au, eu, ui sind zu nennen, wobei das au sogar zu äu umgelautet werden kann.

Schließlich treffen wir auf den Buchstaben ß, bei dem es eigentlich gar nicht um einen, sondern ursprünglich um zwei Buchstaben geht, nämlich um eine Ligatur aus s und z. Deshalb sollten wir auch nicht von einem Buchstaben, sondern von einem Sonderzeichen sprechen.

Bei einer Ligatur (Buchstabenverbindung, von lat. ligatura „Band, Bündel“) handelt es sich um zwei in sich verschlungene Buchstaben auf einer Letter (nach Gutenbergs Rezept in Blei gegossenes Druckzeichen). Das Gleiche galt in der erst 1941 amtlich abgeschafften Frakturschrift („gebrochene“ Schrift) zum Beispiel auch für das „st“.

Eine Ligatur ist ein einzelner Bleiblock, den man nicht trennen kann, es sei denn, man sägt ihn auseinander. Das war der Grund, dass diese technische Vorgabe des Bleisatzes Eingang in die Orthografie fand. Fritzchen musste lernen, dass er Wes-pe, aber We-ste trennen sollte. Sie kennen vielleicht noch den abgestandenen Merksatz: „Trenne nie st, denn es tut ihm weh!“ Diese überholte und verwirrende Regel der angeblich so klaren „klassischen“ Rechtschreibung wurde mit der Reform 1996/ 98 endlich abgeschafft. Heute muss Fritzchen die Weste als Wes-te trennen.

Ligaturen stehen im Allgemeinen nicht am Anfang eines großgeschriebenen Wortes. Da kein Wort mit einem Eszett beginnt, braucht man demnach auch kein Zeichen für ein großes Eszett. Und dann haben wir noch das Ypsilon

(Y, y), an zwanzigster Stelle des griechischen und an fünfundzwanzigster (also an vorletzter) Stelle des lateinischen Alphabets angeordnet. „Handelt es sich beim Ypsilon nicht auch um einen Vokal?“, fragt ein Leser. Das kommt darauf an. Das Ypsilon ist ein ziemlich seltsamer Buchstabe, mal Konsonant, mal Vokal.

Am Wortoder Silbenanfang verhält es sich meist wie ein Konsonant, wenn es anstelle des J steht, etwa bei Yacht, Yoga oder Mayonnaise. Als Teil eines Diphthongs führt es sich wie ein i auf. Bayrisch und bairisch sind zwar nicht der Bedeutung, aber dem Klang nach gleich. Zwischen Herrn Meyer und Herrn Meier besteht phonetisch kein Unterschied, selbst wenn Herr Meyer, wenn er nun schon einmal Meyer heißt, nicht Meier heißen will mit der Begründung: „Ypsilons sind selten und daher vornehm!“

Überhaupt sorgt das Ypsilon für Verwirrung. Spricht man es als Vokal aus, so müssen wir in Syke (einer Stadt bei Bremen) ein i formen, bei Sylt aber eine Art ü und in der Pyramide so etwas dazwischen, das wir in jeder Nachrichtensendung anders hören. Wahrscheinlich weiß das Ypsilon selbst nicht, welcher Art es ist. Hätten Buchstaben Klagerecht, würde das Ypsilon Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einreichen auf Feststellung der grammatischen Einordnung und auf Gleichbehandlung im Alphabet.

Das Ypsilon kam ursprünglich nur in Fremdwörtern vor. Es gibt kein altes deutsches Erbwort, das mit Y beginnt, Eigennamen einmal ausgenommen. Mir fällt dabei der Yggdrasil ein, der Weltenbaum in der nordischen Mythologie. Selbst der Ysop, eine Gewürzpflanze, die früher auf Hamburgs Straßen und Märkten als Aalkraut für die Aalsuppe massenhaft verkauft wurde, ist als Name aus dem Semitischen entlehnt.

Auf das Ypsilon könnte man im Deutschen ganz gut verzichten, gäbe es da nicht eine Unmenge Fremdwörter aus dem Englischen wie Gully, Synthesizer, Cyberspace oder Youngster, bei denendasywieeini,ü,aioderjausgesprochen wird. Bei Anglizismen, für die die deutschen Begriffe inzwischen verblasst sind, wie bei Baby (Säugling) oder Hobby (Steckenpferd), bzw. beim Scheinanglizismus Handy tritt die deutsche Grammatik samt Pluralbildung ein. Es heißt also Babys, Hobbys oder Handys und nicht etwa „Babies“ oder „Hobbies“ mit englischem „-ies“.