Die Boots-Katastrophe im Mittelmeer zeigt: Europas Flüchtlingspolitik ist gescheitert

Alle Menschen sind Ausländer, fast überall auf der Welt. Das gilt auch für uns Deutsche. Allerdings nur im Urlaub, wenn wir unsere Zeit auf einer spanischen Insel, in den französischen Alpen oder an einem finnischen See verbringen. Dann verlassen wir freiwillig unser Zuhause und kehren nach einigen Wochen gut erholt und gebräunt dorthin zurück, haben etwas über Land und Leute erfahren und im besten Falle auch über uns.

Die Menschen aus Afrika, die bei der Katastrophe vor Lampedusa ums Leben kamen, waren keine Urlauber, sondern Flüchtlinge. Sie hatten ihre Heimat verlassen mit der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben und eine bessere Zukunft. Der Alltag in vielen afrikanischen Ländern sieht eben ganz anders aus: Krieg und Unruhen, Hunger und Elend, Arbeitslosigkeit und kaum Perspektiven, Repressalien und Unterdrückung aus religiösen oder politischen Gründen, Korruption und Vetternwirtschaft. Wenn Familien mit ihren Kindern und schwangere Frauen sich auf den beschwerlichen und riskanten Weg über das Mittelmeer machen, dann muss es also zu Hause wirklich schlimm sein. Kein Mensch verlässt gern seine Heimat, um dann in der Fremde entwurzelt und allenfalls geduldet sein Dasein zu fristen.

Und immer wieder Lampedusa. Die kleine italienische Insel, die näher an Tunesien als am Mutterland liegt, hat seit Jahresanfang mehr als 20.000 gestrandete Menschen aufgenommen. Jetzt liegen die Opfer der Tragödie vom Donnerstag aufgebahrt im Flugzeughangar der Insel und sind ein schrecklicher Beweis für die nicht funktionierende Flüchtlingspolitik in Europa. Wir müssen übrigens gar nicht bis nach Lampedusa schauen – die Auswirkungen zeigen sich seit Juni jeden Tag in der Hamburger St. Pauli Kirche.

1999 hatte die EU im Amsterdamer Vertrag eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik beschlossen – mit einer EU als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Jeder Flüchtling sollte ein faires Asylverfahren bekommen, egal in welchem Land er den Antrag stellt. Gleichzeitig sollten die Lasten zwischen den Aufnahmeländern gleichmäßig verteilt werden.

Eine schöne Theorie, die in der Praxis nicht funktioniert. Die Südländer sind schon geografisch näher dran an den globalen Elendsquartieren, und einige Nordländer, zum Beispiel Dänemark, verschärften radikal ihre Einwanderungspolitik. Statt Solidarität in der EU eher jeder für sich und alle gemeinsam gegen diejenigen, die nach Europa kommen wollen. Die Ausgaben zur Sicherung der Grenzen stiegen, die EU baute an der „Festung Europa“.

Europa befindet sich in einem Dilemma, und bisher hat niemand eine Lösung. Die EU versteht sich als Wertegemeinschaft und beruft sich auf die unveräußerlichen Rechte des einzelnen Menschen. Also muss Europa die Flüchtlinge aufnehmen und sicherstellen, dass sie nicht dorthin zurückmüssen, wo sie bedroht werden.

Gleichzeitig aber müssen die EU- Staaten darauf achten, ihre Bürger nicht zu überfordern, wenn die Tore für Flüchtlinge aus Afrika oder Asien bedingungslos geöffnet werden. Wo und als was sollen die Menschen arbeiten, wenn sie keine Ausbildung haben und unsere Sprachen nicht sprechen?

Soziale Probleme in Afrika lassen sich nicht unbedingt durch Einwanderung nach Europa lösen. Hilfe beim Aufbau von Zivilgesellschaften, keine Geschäfte mit korrupten Regimen und keine ungebremste Ausbeutung von Bodenschätzen mehr, Ausbau der Seenotrettung auf dem Mittelmeer, Verfolgung der skrupellosen Menschenhändler, das Überdenken der EU-Subventionspolitik, die es zum Beispiel südeuropäischen Flotten bisher erlaubt, die Küsten Westafrikas abzufischen – das wären ein paar erste Überlegungen. Für die Toten von Lampedusa aber kommen sie zu spät.