Wenn der Unesco-Welterbetitel an Hamburg geht, wird der Denkmalschutz aufgewertet

Als Alfred Lichtwark, der Gründungsdirektor der Hamburger Kunsthalle, in den 1880er-Jahren von den Plänen des Senats erfuhr, ganze Wohnquartiere abzureißen, um Platz für die Speicherstadt zu schaffen, prägte er das böse Wort von der "Freien und Abriss-Stadt Hamburg". Tatsächlich fielen damals nicht nur ärmliche Arbeiterwohnungen am Kehrwieder, sondern am Alten Wandrahm auch prächtige Bürgerhäuser der Spitzhacke zum Opfer, die zu den architektonischen Spitzenleistungen des bürgerlichen Barocks in Hamburg gehört hatten.

Die Abriss-Entscheidung war damals notwendig, um Hamburgs Bedeutung als Handels- und Hafenstadt im neu gegründeten Deutschen Reich erhalten und für die Zukunft sichern zu können. Doch Lichtwarks sarkastisches Wort war in der Welt, und Hamburg tat im folgenden Jahrhundert viel dafür, dass man sich immer wieder daran erinnern musste.

Denn Tatsache ist, dass die Hansestadt mit ihrem kulturellen Erbe oft wenig pfleglich umgegangen ist. Und wenn geschichtlicher Wert gegen wirtschaftlichen Nutzen abgewogen werden musste, entschied man sich oft genug nur für das, was sich zu rechnen schien.

Leider ging die Sache oft nicht so gut aus, wie beim Bau der Speicherstadt, die sich - wie Lichtwark heute gewiss anerkennen würde - in funktionaler wie ästhetischer Hinsicht als überzeugende Lösung erwies. Seit Langem stehen die neogotischen Speicher nun selbst unter Denkmalschutz. Längst verbinden sich diese so schön anzusehenden Zweckbauten auch mit der Identität der Stadt, der es tatsächlich zu gelingen scheint, für das alte, in seiner ursprünglichen Funktion zunehmend überflüssige Lagerhausviertel eine neue, kulturelle, soziale und kommerzielle Nutzung zu finden, die außerdem den schönen Nebeneffekt hat, die nebenan entstehende HafenCity aufzuwerten.

Wenn Hamburg sich nun offiziell darum bemüht, für die Speicherstadt und das architekturgeschichtlich nicht minder bedeutsame Kontorhausviertel den Welterbetitel der Unesco zu bekommen, ist das mehr als nur Imagepflege. Es ist ein Bekenntnis der Stadt zu ihrem historischen Erbe.

Und es ist eine Verpflichtung, denn außer der Ehre hat die Unesco nichts zu vergeben.

Dafür wird die Kulturorganisation der Vereinten Nationen nach einer Verleihung des Titels sehr genau darüber wachen, wie die Stadt mit ihren Erbestätten umgeht. Und das kann für Investoren und Stadtplaner bedeuten, dass bei künftigen Interessenkonflikten das denkmalpflegerische Argument deutlich stärker wiegen wird als kommerzielle Interessen.

Die Unesco ist nichts für Ungeduldige, aber gerade weil ihre Mühlen so langsam mahlen und zwischen dem ersten Bemühen um einen Welterbetitel und dessen Erteilung durchaus 20 oder mehr Jahre liegen können, weiß jede Stadt, worauf sie sich einlässt.

Der stolze Stadtstaat Hamburg hat sich immer schwer damit getan, auch nur ein wenig Macht und Entscheidungsfreiheit aus der Hand zu geben. Sollten die Speicherstadt und das Chilehaus samt Kontorhausviertel 2015 tatsächlich mit dem begehrten Titel geadelt werden, verpflichtet sich die Hansestadt dazu, ihr Weltkulturerbe angemessen zu pflegen und zu erhalten. Und was genau darunter zu verstehen ist, würde künftig nicht nur im Rathaus, sondern auch bei der Unesco in Paris entschieden.

Aber Adel verpflichtet eben, und das gilt auch für den Welterbetitel, der Hamburg dringend zu wünschen wäre. Weil die Stadt zu Recht stolz sein kann auf dieses architektonische Erbe aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Vielleicht aber auch, damit das sarkastische Wort von Alfred Lichtwark endlich zu Recht in Vergessenheit geraten kann.