Warum Kachelmanns Freispruch kein Warnsignal für Frauen ist.

Es klingt ein bisschen wie Spaßverderben, wenn man sagt: Der Freispruch für Jörg Kachelmann war keine Überraschung und der Fall als solcher auch keine Besonderheit. Lassen wir doch der ganzen Pseudo-Promi-Aufregungs-Blase drum herum mal die Luft raus. Dann ist es ausgegangen wie in Tausenden anderen Vergewaltigungsfällen. Auch diesmal blieb das wirkliche Geschehen dem Gericht so unklar und diffus, dass eine Verurteilung nicht möglich war. Zwei Drittel der rund 7000 bis 7500 mutmaßlichen Vergewaltigungen, die pro Jahr angezeigt werden, kommen nicht einmal vor Gericht. Weil die Frage, wo sexuelle Einvernehmlichkeit aufhört und die Gewalt beginnt, oft in den Nebeln des häuslichen Beziehungslebens und der außerhäuslichen Abenteuer verborgen bleibt, und weil nur zwei Menschen die Antwort kennen. Wenn eine Vergewaltigung nicht auszuschließen, aber auch nicht eindeutig nachzuweisen ist, muss oft schon das Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Das ist bitter für die Opfer. Eine Einsicht, die Frauen unter "mein sexistischer Alltag" verbuchen könnten. Und die der Prozessausgang auf den ersten Blick bestätigt.

Neun Monate und 44 Verhandlungstage lang tobte eine beispiellose Gutachterschlacht. Zeuginnen gaben noch vor ihrer Aussage ausführliche, bezahlte Interviews. Staatsanwalt und Wahlverteidiger schraubten sich in eine Ehrgeizspirale. Externe Beobachter/innen überboten sich mit Ferndiagnosen. Der ungeheure mediale Radau stand im Widerspruch zu ungeheuer dünnen Fakten. Richter Michael Seidling hat das in seiner klugen, nüchternen Urteilsbegründung beschrieben. Er hat erklärt, dass Kachelmann wegen begründeter Zweifel an seiner Schuld freigesprochen werden muss, dass aber das Gericht auch nicht von seiner Unschuld überzeugt sei. Und dass beide - Beschuldigter und Nebenklägerin - aus diesem Medien-Mammutverfahren als Beschädigte herausgehen.

Aber der Freispruch mangels Beweisen eignet sich weder als Warnsignal für betroffene Frauen noch als Leidensbeispiel für beschuldigte Männer. Jede Frau, die das Trauma eines sexuellen Übergriffs erlebt, weiß, dass es nicht um Sex, sondern um brutale Macht ging. Sie darf sich das Recht, diese Gewalt anzuzeigen, nicht nehmen lassen. Recht ist leider auch im Rechtsstaat nicht gleich Gerechtigkeit. Aber mit jedem Verfahren blickt die Öffentlichkeit in jene Abgründe der Heimlichkeit, in der sexuelle Gewalt entsteht. Und in die sich auch Prominente verirren.