Prof. Dr. Friso Wielenga, 54, ist Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster

Hamburger Abendblatt:

1. Ist der Rechtsruck in den Niederlanden symptomatisch für Europa?

Friso Wielenga:

Dieses Phänomen rechtsgerichteter Gruppierungen sehen wir augenblicklich in vielen anderen Ländern Europas wie vorletzten Sonntag bei den Wahlen in Schweden, auch in Belgien oder Österreich. Aber in jedem Land gibt es dafür unterschiedliche Entstehungsgeschichten.

2. Was ist denn die Besonderheit der Rechten in den Niederlanden?

Wielenga:

Hier sind zwei Beobachtungen wichtig. Einerseits die fanatische Islamgegnerschaft von Geert Wilders, die so weit geht, dass er den Koran verbieten lassen will, weil er ihn für etwas Ähnliches hält wie "Mein Kampf" von Hitler. Er ist gegen den Bau weiterer Moscheen und für eine Kopftuchsteuer. Andererseits ist er bei sozialen Fragen nicht im rechten Lager anzusiedeln, da vertritt er eher linke Positionen.

3. Die Partei für Freiheit von Wilders, die PVV, ist seit den Wahlen drittstärkste Kraft. Steht dahinter ein Unmut der Bevölkerung über muslimische Zuwanderer?

Wielenga:

Eine Partei ist die PVV eigentlich nicht, das einzige Mitglied ist Wilders selbst. Das ist eher eine Bewegung oder eine One-man-Show. Der Unmut in der Bevölkerung besteht länger und hängt mit einem Unbehagen über die Migrationspolitik zusammen. Da gibt es Probleme, die die anderen Parteien inzwischen erkannt haben. Auch besteht ein verbreitetes Misstrauen gegenüber etablierten Parteien. Die Protestwähler haben ein Potenzial um die 20 Prozent. Einige haben früher links gewählt, andere haben Angst vor der Globalisierung, vor dem Verlust des Sozialstaates oder davor, dass die Niederlande ihre Identität verlieren.

4. Wieso setzen die Christdemokraten trotz Widerstandes in den eigenen Reihen jetzt auf die Duldung des Rechtspopulisten?

Wielenga:

Das beherrschende Gen bei den Christdemokraten in den Niederlanden ist auf den Machterhalt ausgerichtet. An der Regierung sein ist für sie etwas Selbstverständliches. Seit der Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts 1918 waren sie nur acht Jahre nicht an der Regierung. Sie glauben, nur durch eine Regierungsbeteiligung aus ihrem Tief zu kommen. Denn sie haben mit nur noch knapp 14 Prozent die Hälfte ihres Anhangs verloren.

5. Wie groß schätzen Sie Wilders' Einfluss auf die neue Regierung ein?

Wielenga:

Sein Einfluss wird relativ groß sein. Wilders hat die Regierung in seiner Hand. Bei den Mehrheitsverhältnissen kann Wilders jederzeit den Stecker aus der Regierung ziehen und sie beenden. Die Folge: Die Koalition, die sich von ihm dulden lässt, ist weitgehend erpressbar.