Zuwanderung ist keine Antwort auf den Fachkräftemangel.

Wie schnell sich die Zeiten ändern: Noch vor wenigen Monaten prophezeiten Wirtschaftsauguren den Deutschen eine Massenarbeitslosigkeit von fünf Millionen und düstere Zeiten, die an die Depression des Jahres 1929 gemahnten. Nur einen Sommer des Aufschwungs später fühlen sich einige offenbar schon an die Ära der Wirtschaftswunderjahre erinnert. Damals schwärmte Deutschlands Industrie aus, um in Südeuropa neue Arbeitskräfte anzuwerben, und überraschte den einmillionsten Gastarbeiter 1964 gar mit einem geschenkten Moped; nun bringt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) Begrüßungsgelder für ausländische Fachkräfte ins Gespräch. Wer den Klagen der deutschen Wirtschaft ein Ohr schenkt, mag den Politiker verstehen. Und doch war es überfällig, dass Angela Merkel aus ihrer Südtiroler Sommerfrische den emsigen Minister stoppte.

Denn der Vorschlag von Brüderle greift viel zu kurz.

Zum einen hat sich die Welt seit den 60er-Jahren deutlich gewandelt - die Einkommensunterschiede in Europa sind geschrumpft, zudem führt die demografische Entwicklung in fast allen europäischen Staaten mittelfristig zu Bevölkerungsrückgängen. Da fehlt es schlichtweg an Potenzial für Anwerbungen.

Zum anderen ist Deutschland weit davon entfernt, die gewaltigen stillen Reserven für den Arbeitsmarkt zu heben. So liegt die Vollerwerbsquote der Frauen in Deutschland nur knapp über dem mediterranen Niveau. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Ausbau von Kindergärten und Ganztagsschulen dürfte hoch qualifizierte Frauen schneller in ihre Jobs zurückbringen. Einer EU-Studie zufolge könnte die deutsche Wirtschaftsleitung gar um 28 Prozent steigen, wenn die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Berufsleben verwirklicht wäre.

Auch Zuwanderer sind in Deutschland unzureichend in den Arbeitsmarkt integriert. So verlassen 13,3 Prozent der Migranten die Schule ohne Abschluss und damit ohne echte Jobperspektiven. Allein diese Zahl, die doppelt so hoch ist wie bei deutschen Jugendlichen, verlangt, über eine frühere Schulpflicht oder eine Kindergartenpflicht nachzudenken. Und schließlich gilt es auch, die Potenziale der Einwanderer zu heben, die in Deutschland derzeit nur geduldet sind. Es ist geradezu absurd, dass leistungsfähige wie -willige Migranten aufgrund bürokratischer Bestimmungen vom Arbeits- und Ausbildungsmarkt ferngehalten werden. Hier kann und muss die Bundesregierung nachsteuern, das Begrüßungsgeld kann sie erst einmal sparen.