Berlin. Im „Tatort“ halten die Ermittler ihre politischen Positionen weitgehend zurück. Ist das die richtige Strategie gegen Rechtspopulisten?
„Wie viele der in Hamburg inhaftierten Straftäter haben einen Migrationshintergrund?“, fragt Nina Schramm (Anja Kling) Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring). Die Antwort liefert sie gleich selber mit: „Über die Hälfte, Tendenz steigend. Sie wissen das, die Kollegen in den Justizvollzugsanstalten wissen das, nur die Bürger da draußen, die wissen das nicht.“
Warum die Quote so hoch ist, erklärt die Fraktionsvorsitzende der fiktiven rechtspopulistischen Partei „Die Neuen Patrioten“ nicht. Auch macht sie keine Lösungsvorschläge. Kommissar Falke hätte ihr das vorhalten können, doch in seiner Rolle als Polizist und ihr Personenschützer im neuen NDR-„Tatort“ hält er seine eigenen politischen Ansichten weitgehend zurück. Er hat seine Pflicht zu tun. Und die „Tatort“-Zuschauer sollten wohl frei darin sein, ihren eigenen Standpunkt zu finden.
Aber ist Schweigen die richtige Strategie gegen Rechtspopulisten, die derzeit in so vielen Demokratien im Aufwind sind? Die Bundeszentrale für politische Bildung hat darüber mit dem Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky gesprochen – und darüber, wie Rechtspopulismus entsteht, was die Unterschiede zum Rechtsextremismus sind und ob sie die Demokratie gefährden.
Muss man etwas gegen Rechtspopulismus tun?
Lewandowsky nennt vier Meta-Strategien, wie man Rechtspopulisten begegnen kann: Ächten, Ignorieren, Einbinden oder Kooptieren, also ein politisches Modell finden, in dem man sie toleriert. Allerdings sei keine der Strategien ein Patentrezept. „Es gibt keine, die immer funktionieren würde“, sagt der Politikwissenschaftler.
In Österreich könne man zum Beispiel sehen, dass Rechtspopulisten dann an Zustimmung verlören, wenn sie in einer Regierungskoalition seien, sich aber mit ihrer Politik dort nicht durchsetzen könnten. „Wenn Rechtspopulisten in der Regierung sind, dann müssen sie liefern, weil sie natürlich auch mit besonders hohen Ansprüchen gewählt werden“, so Lewandowsky.
In Deutschland habe man es hingegen mit einer Strategie der Ächtung gegenüber der AfD versucht – und sei damit gescheitert. „Was ich zumindest raten würde, ist die klassischen Strategien, die Parteien zu ächten und zu stigmatisieren, noch mal zu überdenken, weil sie offensichtlich gerade bei der immer noch relativ bürgerlich auftretenden AfD nicht verfangen.“
Gewalt von rechts und links im „Tatort“
Woran erkennt man Rechtspopulismus?
Laut Lewandowsky haben rechtspopulistische Parteien zwei Dinge gemeinsam. Zum einen machten sie ein als homogen gedachtes Volk mobil gegen „die da oben“. „Also gegen das Establishment“, so der Politikwissenschaftler. Zum anderen teilten sie eine kulturelle Abgrenzung gegen vermeintliche Überfremdung, nähmen also zum Beispiel eine vermeintliche Islamisierung westlicher Demokratien wahr, aber lehnten auch kultureller Modernisierungen innerhalb der Gesellschaften ab – etwa in Form der Homo-Ehe oder anderer postmoderner Lebensentwürfe.
Wer unterstützt eigentlich Rechtspopulisten?
„Es gibt immer wieder das Missverständnis, dass das die Modernisierungsverlierer wären, also die, die sozial und ökonomisch abgehängt sind. Aber man kann sehen, dass es das nicht alleine erklärt“, sagt Lewandowsky. Besser beschrieben seien die Wähler mit dem Begriff der Modernisierungsgegner. Diese lehnten bestimmte Aspekte der Modernisierung ab, beispielsweise kulturelle Vielfalt, hätten Angst vor ökonomischer Veränderung, weil sie ihren eigenen Status bedroht sehen, und fühlten sich vom politischen System ausgeschlossen.
Ist Rechtspopulismus rechtsextrem?
Es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Erstens: das Verhältnis zur Demokratie. „Rechtsextremisten lehnen die repräsentative Demokratie ab und wollen sie ersetzen durch eine autoritär regierte Volksgemeinschaft“, sagt Lewandowsky. „Rechtspopulisten bejahen das demokratische System, sie attackieren die darin agierenden Eliten und sie wollen diesem System plebiszitäre Merkmale in Form von Volksentscheiden hinzufügen.“ Damit seien sie nicht per se antidemokratisch, „auch wenn bei den Parteien die Grenzen zum Extremismus fließend sind.“
Zweiter Unterschied: der Grad der kulturellen Abgrenzung. „Rechtsextremisten sind in der Regel klassisch rassistisch. Sie glauben an die Unwertigkeit und Ungleichheit von Menschen aufgrund ihrer genetischen Prädisposition oder – wie man das früher ausgedrückt hat – der Rasse“, erklärt Lewandowsky. Rechtspopulisten hingegen seien idealtypisch nicht fremdenfeindlich, sondern warnten vor einer kulturellen Ungleichheit von Gesellschaften, verursacht etwa durch eingewanderte Muslime. Nach dem Verständnis der Rechtspopulisten könnten sich Muslime aber assimilieren, also keine Muslime mehr sein. „Das ist auch eine Form des kulturellen Rassismus, aber es ist eine andere als die des Rechtsextremismus.“
Gefährden Rechtspopulisten die Demokratie?
Die Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien sind derzeit in vielen Demokratien hoch. Allerdings meist nicht so hoch, dass sie in der Lage wären, die Regierung zu stellen. „Aber wir sehen natürlich in einigen Staaten – etwa in Ungarn oder in Polen – was rechtspopulistische Parteien bewirken können“, so Lewandowsky. Etwa restriktive Mediengesetze oder Gesetze, die die Rechte der Frauen beschneiden. „Man sieht also, dass sie eine sehr konservative und autoritäre Politik implementieren wollen. Insofern ist es schon geboten, darüber zu diskutieren, was passiert, wenn Rechtspopulisten an der Macht wären.“