Berlin. Bei Maybrit Illner diskutierten die Gäste über den Terror in Großbritannien, teilweise erhellend. Für die Wahlanalyse blieb keine Zeit.

Brexit, Terrorangst, Bündniskrise mit den USA: Die Weltlage könnte, milde ausgedrückt, ruhiger sein. Den großen Rundumschlag wagte Maybrit Illner in ihrer Sendung. Und als hätte die Runde noch nicht genug Stoff zur Diskussion, donnerte auch noch ein politischer Paukenschlag in die Sendung: Um kurz nach 23 Uhr vermeldete die Reporterin aus London eine „perfekte Sensation“.

Laut den ersten Hochrechnungen verliert Theresa May ihre absolute Mehrheit, sie schrumpft gefühlt auf Zwergengröße. Die Umfragen lagen mal wieder daneben. Als großer Gewinner dagegen geht aus der Wahl – unter Vorbehalt dieser Hochrechnung – Labour-Chef Jeremy Corbyn hervor.

Kein Talk mit Maß und Mitte

Kaum zu glauben: Er war, als May die Wahl ausrief um ihre Position zu stärken, von Beobachtern schon quasi politisch totgesagt. Weltpolitik im Turbo. Wie schon bei den Prognosen zum Brexit und der Trump-Wahl hätte eine britische Tradition vielen Beobachtern gut gestanden: Abwarten, Tee trinken.

Der Runde blieb keine Zeit zur tieferen Analyse. „Handelsblatt“-Herausgeber Gabor Steingart lieferte noch schnell eine Einschätzung: „May könnte die nächsten Monate ums politische Überleben kämpfen müssen.“ Für die Brexit-Verhandlungen sei das Ergebnis förderlich, weil Großbritannien geschwächt sei und eher eine Politik von Maß und Mitte verfolge.

Die britischen Premiers seit 1940

Winston Churchill war von 1940 bis 1945 Premierminister und führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg. Seit 1940 haben 12 Männer und zwei Frauen das Amt des britischen Premiers bekleidet. Wir stellen alle Kandidaten vor.
Winston Churchill war von 1940 bis 1945 Premierminister und führte Großbritannien durch den Zweiten Weltkrieg. Seit 1940 haben 12 Männer und zwei Frauen das Amt des britischen Premiers bekleidet. Wir stellen alle Kandidaten vor. © Getty Images | Central Press
Clement Richard folgte Churchill behütet.
Clement Richard folgte Churchill behütet. © imago | ZUMA/Keystone
Er war von 1945 bis 1951 der britische Premier.
Er war von 1945 bis 1951 der britische Premier. © imago stock&people | imago stock&people
Der konservative Sir Winston Churchill kam 1951 bis 1955 das zweite Mal zum Zug.
Der konservative Sir Winston Churchill kam 1951 bis 1955 das zweite Mal zum Zug. © Getty Images | Hulton Archive
Anthony Eden war von 1955 bis 1957 Premierminister des Vereinigten Königreichs.
Anthony Eden war von 1955 bis 1957 Premierminister des Vereinigten Königreichs. © Getty Images | Baron
Harold Macmillian war von 1957 bis 1963 ranghöchster Minister der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland.
Harold Macmillian war von 1957 bis 1963 ranghöchster Minister der Regierung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Sir Alec Douglas-Home war lediglich 363 Tage im Amt – von 1963 bis 1964.
Sir Alec Douglas-Home war lediglich 363 Tage im Amt – von 1963 bis 1964. © imago stock&people | imago stock&people
Harold Wilson – umringt von den „Beatles“ – war zwischen Oktober 1964 und 1970 Premierminister.
Harold Wilson – umringt von den „Beatles“ – war zwischen Oktober 1964 und 1970 Premierminister. © Getty Images | Central Press
Edward Heath wurde am 20. Juni 1970 gewählt.
Edward Heath wurde am 20. Juni 1970 gewählt. © Getty Images | Harry Todd
Der konservative Politiker blieb bis 1974 im Amt.
Der konservative Politiker blieb bis 1974 im Amt. © imago | imago
Harold Wilson wurde im März 1974 zum zweiten Mal zum britischen Premier gewählt. Er blieb bis März 1976 im Amt.
Harold Wilson wurde im März 1974 zum zweiten Mal zum britischen Premier gewählt. Er blieb bis März 1976 im Amt. © Getty Images | Central Press
James Callaghan war von 1976 bis 1979 Premierminister.
James Callaghan war von 1976 bis 1979 Premierminister. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Margaret Thatcher wurde 1979 als erste Frau in das Amt gewählt.
Margaret Thatcher wurde 1979 als erste Frau in das Amt gewählt. © imago | Photoshot
„Die Eiserne Lady“ übte ihr Amt ohne Unterbrechung und länger als jeder andere britische Premierminister des 20. Jahrhunderts aus – bis 1990.
„Die Eiserne Lady“ übte ihr Amt ohne Unterbrechung und länger als jeder andere britische Premierminister des 20. Jahrhunderts aus – bis 1990. © Getty Images | Keystone
John Major folgte Margaret Thatcher im November 1990. Er blieb bis 2007.
John Major folgte Margaret Thatcher im November 1990. Er blieb bis 2007. © imago | sepp spiegl
Tony Blair war von 1994 bis 2007 Vorsitzender der Labour-Partei und ...
Tony Blair war von 1994 bis 2007 Vorsitzender der Labour-Partei und ... © Getty Images | Christopher Furlong
... von 1997 bis 2007 dann der britische Premier.
... von 1997 bis 2007 dann der britische Premier. © imago | UPi Photo
Gordon Brown war von Juni 2007 bis Mai 2010 Premierminister des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland – sowie Vorsitzender der Labour-Partei.
Gordon Brown war von Juni 2007 bis Mai 2010 Premierminister des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland – sowie Vorsitzender der Labour-Partei. © imago stock&people | UPI Photo
David Cameron bekleidete das Amt vom 11. Mai 2010 bis zum 13. Juli 2016. Er trat zurück, nachdem die britischen Wähler sich für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union entschieden hatten.
David Cameron bekleidete das Amt vom 11. Mai 2010 bis zum 13. Juli 2016. Er trat zurück, nachdem die britischen Wähler sich für den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union entschieden hatten. © REUTERS | REUTERS / CARLOS BARRIA
Theresa May wurde am 13. Juli 2016. zur britischen Premierministerin gewählt.
Theresa May wurde am 13. Juli 2016. zur britischen Premierministerin gewählt. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
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Wenig Maß und Mitte hatte allerdings dieser Talk von Maybrit Illner. Zwischen einer kurzen, etwas lieblos abgehakten Diskussion über Trump und den ehemaligen FBI-Chef James Comey, der an diesem Tag seinen Präsidenten unter Eid der Lüge bezichtigte, und der Frage nach einer europäischen Armee, drehte sich die Sendung vor allem um eines: Großbritannien und eine adäquate Antwort auf den Terror des Islamischen Staates. Drei Punkte waren besonders interessant.

1.War Theresa Mays Reaktion auf den Terror angemessen?

Nein, so die mehrheitliche Meinung in der Runde. Großbritannien ist binnen kurzer Zeit Schauplatz von drei Terroranschlägen gewesen. Die Opposition hatte May für ihre Aussage kritisiert, im Kampf gegen den Terror notfalls auch Menschenrechte einzuschränken.

Diese Kritik griff auch die Sylke Tempel, Politikwissenschaftlerin, auf. „Die Antwort lautet immer erst einmal Gesetzesverschärfungen“, sagt Tempel. So auch im Fall von May. „Es war ein Versagen der Geheimdienste, die Warnungen nicht gehört haben.“ Die Hinweise kamen indes direkt aus der muslimischen Gemeinschaft. „Es geht darum Verbündete in den Communities zu suchen“, sagt Tempel.

So geht es jetzt weiter mit dem Brexit

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    Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte am Historischen Institut der Universität Potsdam, zeigte etwas mehr Verständnis für Mays Aktionismus. Auf solche schrecklichen Terrorattacken müsse ein Politiker in irgendeiner Weise reagieren. „Wir sehen am Beispiel Irlands aber, dass es auch anders geht“, so Neitzel. Das Land habe seinerzeit gegen die Terrororganisation Irish Republican Army (IRA) eine vergleichsweise ruhige Politik verfolgt. „Irland hat sich nicht provozieren lassen.“

    2. Worin liegen die Schwächen der Premierministerin?

    Der ehemalige „Handelsblatt“-Chefredakteur hatte die Achillesferse der Politikerin May schnell ausgemacht: „Ich glaube, dass wir es mit einer Kandidatin zu tun haben, die eine politische Opportunistin ist“, analysierte er. Wenn es angesagt sei zu sparen, kürze sie eben Stellen bei der Polizei.

    Wenn sich die Stimmung gegen Europa dreht, kämpfe sie eben für den Brexit – obwohl sie zuvor für das Gegenteil eintrat. „Wie glaubwürdig ist eine solche Persönlichkeit?“ Die Frage ließ er offen.

    Doch eben die fehlende Integrität könnte May nun politisch das Genick brechen. Und womöglich verpassten die Briten ihrer Premierministerin für diese Form der Unredlichkeit am Donnerstag den Denkzettel.

    3. Immer wieder: Wo liegen die Gründe für den Extremismus?

    Komplexe Frage, dementsprechend unterschiedlich die Antworten. Journalist Steingart lenkte den Blick auf die materiellen Lebensumstände. „Es gibt keine Terrorfrage, die nicht auch eine ökonomische Frage wäre“. Da hakte die Politikwissenschaftlerin Tempel ein. Mit einem sinnvollen Einwand: „Wir haben im Nahen Osten gelernt, dass sich die Leute, die sich der Hamas anschlossen, auch gut ausgebildet waren“, sagte die Politologin. „Das waren Ideologen.“ Wer gut situierte Terroristen sucht, sollte kein Problem dabei haben – Stichwort bin Laden.

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      Erhellendes trug Julia Ebner vor. Die Extremismus-Forscherin arbeitet in London und war zuvor für einen Thinktank für die Prävention von Terrorismus tätig. Die wichtigste Rolle bei Radikalisierung spielten „Diskriminierungen“ und „Frustrationen“ durch drakonische Gesetze und Ausgrenzung. Es gehe um übertrieben harte Gesetze, die den anderen als einen Fremdkörper ausgrenzen. „Das muss gar nicht faktisch so sein, doch wird trotzdem so wahrgenommen“.

      Ihr Schluss: Wenn man mit Terroristen umgeht wie mit einem unmenschlichen Fremdkörper, wirkt das kontraproduktiv. Auch wer unmenschliche Taten vollbringe müsse daher weiter als Mensch behandelt werden. Vor diesem Hintergrund ist Theresa Mays angekündigtes Aufweichen der Menschenrechte ein Schritt ins Verderben. Vielleicht haben das die Briten intuitiv gespürt.

      Hier können Sie die Sendung noch einmal anschauen.