Berlin. Bei Maybrit Illner diskutierten die Gäste über den Terror in Großbritannien, teilweise erhellend. Für die Wahlanalyse blieb keine Zeit.
Brexit, Terrorangst, Bündniskrise mit den USA: Die Weltlage könnte, milde ausgedrückt, ruhiger sein. Den großen Rundumschlag wagte Maybrit Illner in ihrer Sendung. Und als hätte die Runde noch nicht genug Stoff zur Diskussion, donnerte auch noch ein politischer Paukenschlag in die Sendung: Um kurz nach 23 Uhr vermeldete die Reporterin aus London eine „perfekte Sensation“.
Laut den ersten Hochrechnungen verliert Theresa May ihre absolute Mehrheit, sie schrumpft gefühlt auf Zwergengröße. Die Umfragen lagen mal wieder daneben. Als großer Gewinner dagegen geht aus der Wahl – unter Vorbehalt dieser Hochrechnung – Labour-Chef Jeremy Corbyn hervor.
Kein Talk mit Maß und Mitte
Kaum zu glauben: Er war, als May die Wahl ausrief um ihre Position zu stärken, von Beobachtern schon quasi politisch totgesagt. Weltpolitik im Turbo. Wie schon bei den Prognosen zum Brexit und der Trump-Wahl hätte eine britische Tradition vielen Beobachtern gut gestanden: Abwarten, Tee trinken.
Der Runde blieb keine Zeit zur tieferen Analyse. „Handelsblatt“-Herausgeber Gabor Steingart lieferte noch schnell eine Einschätzung: „May könnte die nächsten Monate ums politische Überleben kämpfen müssen.“ Für die Brexit-Verhandlungen sei das Ergebnis förderlich, weil Großbritannien geschwächt sei und eher eine Politik von Maß und Mitte verfolge.
Die britischen Premiers seit 1940
Wenig Maß und Mitte hatte allerdings dieser Talk von Maybrit Illner. Zwischen einer kurzen, etwas lieblos abgehakten Diskussion über Trump und den ehemaligen FBI-Chef James Comey, der an diesem Tag seinen Präsidenten unter Eid der Lüge bezichtigte, und der Frage nach einer europäischen Armee, drehte sich die Sendung vor allem um eines: Großbritannien und eine adäquate Antwort auf den Terror des Islamischen Staates. Drei Punkte waren besonders interessant.
1.War Theresa Mays Reaktion auf den Terror angemessen?
Nein, so die mehrheitliche Meinung in der Runde. Großbritannien ist binnen kurzer Zeit Schauplatz von drei Terroranschlägen gewesen. Die Opposition hatte May für ihre Aussage kritisiert, im Kampf gegen den Terror notfalls auch Menschenrechte einzuschränken.
Diese Kritik griff auch die Sylke Tempel, Politikwissenschaftlerin, auf. „Die Antwort lautet immer erst einmal Gesetzesverschärfungen“, sagt Tempel. So auch im Fall von May. „Es war ein Versagen der Geheimdienste, die Warnungen nicht gehört haben.“ Die Hinweise kamen indes direkt aus der muslimischen Gemeinschaft. „Es geht darum Verbündete in den Communities zu suchen“, sagt Tempel.
Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte am Historischen Institut der Universität Potsdam, zeigte etwas mehr Verständnis für Mays Aktionismus. Auf solche schrecklichen Terrorattacken müsse ein Politiker in irgendeiner Weise reagieren. „Wir sehen am Beispiel Irlands aber, dass es auch anders geht“, so Neitzel. Das Land habe seinerzeit gegen die Terrororganisation Irish Republican Army (IRA) eine vergleichsweise ruhige Politik verfolgt. „Irland hat sich nicht provozieren lassen.“
2. Worin liegen die Schwächen der Premierministerin?
Der ehemalige „Handelsblatt“-Chefredakteur hatte die Achillesferse der Politikerin May schnell ausgemacht: „Ich glaube, dass wir es mit einer Kandidatin zu tun haben, die eine politische Opportunistin ist“, analysierte er. Wenn es angesagt sei zu sparen, kürze sie eben Stellen bei der Polizei.
Wenn sich die Stimmung gegen Europa dreht, kämpfe sie eben für den Brexit – obwohl sie zuvor für das Gegenteil eintrat. „Wie glaubwürdig ist eine solche Persönlichkeit?“ Die Frage ließ er offen.
Doch eben die fehlende Integrität könnte May nun politisch das Genick brechen. Und womöglich verpassten die Briten ihrer Premierministerin für diese Form der Unredlichkeit am Donnerstag den Denkzettel.
3. Immer wieder: Wo liegen die Gründe für den Extremismus?
Komplexe Frage, dementsprechend unterschiedlich die Antworten. Journalist Steingart lenkte den Blick auf die materiellen Lebensumstände. „Es gibt keine Terrorfrage, die nicht auch eine ökonomische Frage wäre“. Da hakte die Politikwissenschaftlerin Tempel ein. Mit einem sinnvollen Einwand: „Wir haben im Nahen Osten gelernt, dass sich die Leute, die sich der Hamas anschlossen, auch gut ausgebildet waren“, sagte die Politologin. „Das waren Ideologen.“ Wer gut situierte Terroristen sucht, sollte kein Problem dabei haben – Stichwort bin Laden.
Erhellendes trug Julia Ebner vor. Die Extremismus-Forscherin arbeitet in London und war zuvor für einen Thinktank für die Prävention von Terrorismus tätig. Die wichtigste Rolle bei Radikalisierung spielten „Diskriminierungen“ und „Frustrationen“ durch drakonische Gesetze und Ausgrenzung. Es gehe um übertrieben harte Gesetze, die den anderen als einen Fremdkörper ausgrenzen. „Das muss gar nicht faktisch so sein, doch wird trotzdem so wahrgenommen“.
Ihr Schluss: Wenn man mit Terroristen umgeht wie mit einem unmenschlichen Fremdkörper, wirkt das kontraproduktiv. Auch wer unmenschliche Taten vollbringe müsse daher weiter als Mensch behandelt werden. Vor diesem Hintergrund ist Theresa Mays angekündigtes Aufweichen der Menschenrechte ein Schritt ins Verderben. Vielleicht haben das die Briten intuitiv gespürt.