Berlin. Darf man ein volles Flugzeug abschießen, um Tausende Menschen vor einem Anschlag zu schützen? Die weltweiten Antworten überraschen.

Der ARD-Film „Terror – Ihr Urteil“ hat die Zuschauer am Montag vor eine Gewissensfrage gestellt – und das deutsche Publikum hat eindeutig entschieden. 87 Prozent der Zuschauer sprachen im virtuellen Gerichtssaal einen Kampfpiloten frei, der eine Passagiermaschine mit 164 Menschen an Bord abgeschossen hatte, um einen Anschlag mit eben dieser Maschine auf ein voll besetztes Fußballstadion zu verhindern.

Doch nicht nur die deutschen Fernsehzuschauer konnten über den fiktiven Fall abstimmen. Denn Basis für den ARD-Film ist ein Theaterstück „Terror“ von Ferdinand von Schirach. Das Stück wurde weltweit bereits 540 Mal aufgeführt – und jedes Mal konnten die Theaterbesucher abstimmen. Zwar gab es überwiegend (503) Freisprüche , doch die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind gravierend. Die Theater-Macher listen die Daten zu allen Vorstellungen auf der eigenen Internetseite auf.

„Terror“ – Das TV-Drama im Gerichtssaal

Die Protagonisten des ARD-Films „Terror“, der auf Grundlage des gleichnamigen erfolgreichen Bühnenstücks von Ferdinand von Schirach entstand: Florian David Fitz (vorn) als Eurofighter-Pilot Lars Koch, sein Verteidiger (Lars Eidinger, li.), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner).
Die Protagonisten des ARD-Films „Terror“, der auf Grundlage des gleichnamigen erfolgreichen Bühnenstücks von Ferdinand von Schirach entstand: Florian David Fitz (vorn) als Eurofighter-Pilot Lars Koch, sein Verteidiger (Lars Eidinger, li.), die Staatsanwältin (Martina Gedeck) und der Richter (Burghart Klaußner). © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der gesamte Film spielt in einem Gerichtssaal. Die Frage, die zu klären ist: Durfte der Pilot die von einem Terroristen gekaperte Lufthansamaschine abschießen, um so die 70.000 Zuschauer in einem Fußballstadion zu retten, auf das der Entführer die Passagiermaschine vermutlich stürzen lassen wollte?
Der gesamte Film spielt in einem Gerichtssaal. Die Frage, die zu klären ist: Durfte der Pilot die von einem Terroristen gekaperte Lufthansamaschine abschießen, um so die 70.000 Zuschauer in einem Fußballstadion zu retten, auf das der Entführer die Passagiermaschine vermutlich stürzen lassen wollte? © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
So viel Symbolik musste wohl sein: Durch die Fensterfront hinter der Richterbank ist die Kulisse des Reichstagsgebäudes zu sehen.
So viel Symbolik musste wohl sein: Durch die Fensterfront hinter der Richterbank ist die Kulisse des Reichstagsgebäudes zu sehen. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Strafverteidiger Biegler (Lars Eidinger) versucht, das moralische Dilemma seines Mandanten zu verdeutlichen. Doch kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Das ist eine der zentralen Fragen des Films.
Der Strafverteidiger Biegler (Lars Eidinger) versucht, das moralische Dilemma seines Mandanten zu verdeutlichen. Doch kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Das ist eine der zentralen Fragen des Films. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Das Gericht spricht sein Urteil – über das die Fernsehzuschauer vorher abgestimmt haben. So war es auch bei dem Bühnenstück, bei dem die Theaterbesucher über das Urteil für den Eurofighter-Piloten entschieden. Der Kiepenheuer Verlag veröffentlichte eine Statistik, nach der die Theaterbesucher in 25 Theatern zu 59,5 Prozent für einen Freispruch votierten.
Das Gericht spricht sein Urteil – über das die Fernsehzuschauer vorher abgestimmt haben. So war es auch bei dem Bühnenstück, bei dem die Theaterbesucher über das Urteil für den Eurofighter-Piloten entschieden. Der Kiepenheuer Verlag veröffentlichte eine Statistik, nach der die Theaterbesucher in 25 Theatern zu 59,5 Prozent für einen Freispruch votierten. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Burghart Klaußner spielt den Vorsitzenden Richter nüchtern und ohne Pathos.
Burghart Klaußner spielt den Vorsitzenden Richter nüchtern und ohne Pathos. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Für die Staatsanwältin (Martina Gedeck) steht fest: Ein Abwägen nach dem „kleineren Übel“ ist keine Rechtfertigung, um Menschenleben zu opfern.
Für die Staatsanwältin (Martina Gedeck) steht fest: Ein Abwägen nach dem „kleineren Übel“ ist keine Rechtfertigung, um Menschenleben zu opfern. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Die Anklägerin plädiert für eine Verurteilung des Bundeswehr-Piloten wegen Mordes in 164 Fällen.
Die Anklägerin plädiert für eine Verurteilung des Bundeswehr-Piloten wegen Mordes in 164 Fällen. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Verteidiger (Lars Eidinger) plädiert auf „unschuldig“, denn sein Mandant habe in einem „übergesetzlichen Notstand“ gehandelt.
Der Verteidiger (Lars Eidinger) plädiert auf „unschuldig“, denn sein Mandant habe in einem „übergesetzlichen Notstand“ gehandelt. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
 Der Angeklagte Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz) wusste, dass der Abschuss der von Terroristen gekaperten Maschine nicht durch Recht und Gesetz gedeckt war. Trotzdem feuerte er die Rakete ab – um noch weit mehr Opfer zu verhindern.
Der Angeklagte Eurofighter-Pilot Lars Koch (Florian David Fitz) wusste, dass der Abschuss der von Terroristen gekaperten Maschine nicht durch Recht und Gesetz gedeckt war. Trotzdem feuerte er die Rakete ab – um noch weit mehr Opfer zu verhindern. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Der Angeklagte sitzt zunächst in einem Glaskasten in dem Gerichtssaal. Später nimmt er neben seinem Verteidiger Platz.
Der Angeklagte sitzt zunächst in einem Glaskasten in dem Gerichtssaal. Später nimmt er neben seinem Verteidiger Platz. © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
Verteidigung und Anklage vertreten komplett andere Auffassungen. Wer wird sich bei den Zuschauern durchsetzen?
Verteidigung und Anklage vertreten komplett andere Auffassungen. Wer wird sich bei den Zuschauern durchsetzen? © ARD Degeto/Moovie GmbH | Julia Terjung
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Deutschland

In Deutschland wurde das Theaterstück „Terror“ bisher 472 Mal aufgeführt. Dabei gab es 441 Freisprüche. Insgesamt hielten 90.682 Theaterbesucher den Piloten Lars Koch für „nicht schuldig“, 61.110 stimmten für „schuldig“. Zu den Theater-Freisprüchen kommt der Freispruch durch das TV-Publikum am Montag.

Schweiz

Nach Deutschland gab es im Nachbarland Schweiz die meisten Aufführungen des Theaterstücks. 25 Vorstellungen brachten 25 Freisprüche (2424 Stimmen). Lediglich 882 Besucher wollten den Kampfpiloten wegen Mordes im Gefängnis sehen. Im Schweizer Fernsehen, wo der Film „Terror – Ihr Urteil“ zeitgleich am Montagabend lief, fiel die Abstimmung fast so deutlich aus wie in Deutschland. 84 Prozent stimmten für den Freispruch, 16 Prozent sahen in dem Piloten den Schuldigen.

Österreich

Mit 18 Theater-Vorstellungen liegt Österreich knapp hinter der Schweiz. Doch beim Ergebnis gibt es einen deutlichen Unterschied – und der liegt in einer Verurteilung. Insgesamt votierten 1582 Zuschauer für einen Freispruch, 1049 dagegen. Das Ergebnis ist im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz wesentlich knapper. Im TV-Voting – auch in Österreich konnte man die TV-Verfilmung am Montag sehen – gab es jedoch das gleiche Ergebnis wie in Deutschland: 87 Prozent der Stimmen für einen Freispruch.

Venezuela

18 Mal spielten Theaterensembles das Stück von Ferdinand von Schirach auch im südamerikanischen Venezuela. Das Ergebnis gleicht dem in Österreich: bei 18 Vorstellungen gab es 17 Freisprüche (3321 Stimmen). 1968 Menschen waren für einen Schuldspruch gegen den Kampfpiloten.

Japan

Das wohl überraschendste Ergebnis gab es in Japan. Bei vier Vorstellung des Theaterstücks gab es vier Schuldsprüche. 958 Theaterbesucher wollten den Piloten im Gefängnis sehen, nachdem er den Passagierjet abgeschossen hatte. 569 sahen ihn als unschuldig an.

Die Gründe für Unterschiede

Wie genau die unterschiedlichen Ergebnisse in den einzelnen Ländern zustandekommen ist nicht endgültig geklärt. Eindeutig scheint aber, dass politische Ereignisse und die Geschichte der Länder das Abstimmungsverhalten beeinflussen.

So zeigt eine Zeitleiste der Theatermacher etwa, dass die Ergebnisse zugunsten eines Freispruches nach den Terroranschlägen von Paris im vergangenen Jahr deutlich gestiegen sind. Die Zuschauer scheinen seitdem mehr mit der Figur des Piloten zu fühlen, die nach eigenen Angaben Hunderte tötete, um Tausende zu retten.

Einen anderen Erklärungsversuch brachten bereits Montagabend Vertreter des Schweizer Fernsehens vor. Während sie die Schweizer Ergebnisse in einer Live-Schalte im ARD-Talk „Hart aber fair“ vorstellten, gingen sie auf Abstimmungen im Allgemeinen ein. Die leichte Abweichung des Schweizer Votums hänge demnach damit zusammen, dass es in der Schweiz häufiger Volksabstimmungen gebe. Die Schweizer hätten sich deshalb daran gewöhnt, über politische Fragen direkt abzustimmen.