Berlin. Es war eine leidenschaftliche „Terror“-Debatte bei „Hart aber fair“. Am Ende blieb die Einsicht: es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma.
Dieser Film lässt keinen kalt: 164 Menschen in einem Passagierflugzeug müssen sterben – damit 70.000 andere in einem Fußballstadion gerettet werden. Durfte der Bundeswehrpilot schießen – oder hätte er zusehen müssen, wie der Terrorist den gekaperten Jet in die Arena steuert? Eine Frage, die nicht nur rechtlich, sondern vor allem auch ethisch-moralisch mit solch einer Wucht daherkommt, dass eine schnelle Antwort kaum möglich ist.
Die Materie ist vielschichtig, das Kern-Dilemma kaum aufzulösen. Der Film sei „wie gemacht für den Unterricht in Staatsbürgerkunde“, titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Prinzip gegen Gewissen; Recht oder Moral; Befehlsnotstand; übergesetzlicher Notstand; Menschenwürde. Aus den Themen des Films lässt sich Stoff für ganze Schuljahre destillieren.
Eindeutiges Ergebnis der Zuschauer
Und doch: Nur wenige Minuten hatten die Fernsehzuschauer nach dem ARD-Film „Terror – Ihr Urteil“ am Montagabend in der ARD Zeit, ihr Urteil über den Piloten zu fällen: schuldig oder Freispruch? Da war das Bauchgefühl gefragt, nicht die wohl überlegte, durchdachte Entscheidung. Ein kleines Manko, eines ansonsten herausragenden Fernsehabends. Gleichwohl war die Entscheidung der Zuschauer klar: 87 Prozent sprachen den Piloten frei, 13 Prozent sahen ihn schuldig.
Ob das Urteil tatsächlich nur wegen der Überzeugung der Zuschauer so eindeutig ausfiel, war in den ersten Stunden nach der Ausstrahlung des Films nicht ganz klar. Das Erste hatte mit erheblichen technischen Problemen während der Abstimmung zu kämpfen: Die Internetseite war schwer erreichbar, die beiden Telefonnummern meist besetzt, oder es kam einfach die Ansage: „Ihr derzeit gewünschter Gesprächspartner ist derzeit nicht erreichbar.“ In den sozialen Netzwerken wie Twitter äußerten sich einige User deswegen spöttisch, andere lobten aber auch die Qualität des Films: „TV ist alles andere als tot.“
Bei der zeitgleichen Ausstrahlung in Österreich kam ein identisches Urteil zustande: 86,9 Prozent plädierten für Freispruch, in der Schweiz waren es 84 Prozent.
Der kühle Verteidigungspolitiker
Mehr Zeit, ihre Entscheidungen zu durchdenken, hatten die Gäste bei der anschließenden Runde bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“-Runde. Dort gab es Begründungen für die Urteile – und viele Emotionen zudem.
„Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen“, hatte der CDU-Politiker Franz Josef Jung 2007 gesagt. Ein mutiger Satz: Denn damals war Jung Verteidigungsminister – und ein Jahr davor hatte das Bundesverfassungsgericht genau andersherum entschieden. Jetzt, bei „Hart aber fair“, sieht Jung das noch immer so: „Entscheidend ist die Frage, ob ich die Menschen im Stadion retten.“ Die Passagiere seien „dem Tode geweiht“ gewesen.
Bleibt er bei seinem Satz von 2007? „Ich“, betonte Jung mit Verve, „hätte den Piloten nicht im Stich gelassen.“ Er würde auch heute im besprochenen Fall den Abschussbefehl geben – Grundgesetz hin, Verfassungsgericht her. Und zwar auch dann, wenn seine eigene Frau in der Maschine säße. Diesen Fall habe er auch mit ihr „besprochen“. Jung: „Da kann ich nicht mehr differenzieren zwischen Angehörigen und anderen Persönlichkeiten.“
„Terror“ – Das TV-Drama im Gerichtssaal
2005 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz: Demnach war es dem Verteidigungsminister gestattet, den Befehl zum Abschuss eines gekaperten und zur Waffe umfunktionierten Passagierjets zu erteilen. Doch ein Jahr später kippte Karlsruhe die entsprechende Regelung wieder. Begründung: Der Staat dürfe nicht Leben gegen Leben abwägen – das verletzte die Würde der Flugzeuginsassen.
Der leidenschaftliche Mahner
Auch Gerhart Baum (FDP) war wie Jung einmal Minister. Er aber gehörte zu den Klägern, die das Gesetz 2006 vors Verfassungsgericht brachten. Gewissen geht vor Prinzip? Da schlug Baum mit der Faust auf den Tisch: „Das ist doch keine Reiterei auf irgendeinem Prinzip! Wir reden über die Menschenwürde!“ Die 87 Prozent der Zuschauer, die für einen Freispruch gestimmt hatten, votierten damit laut Baum „gegen den Kern unseres Grundgesetzes“. Und überhaupt: „Millionen Menschen als Richter“, das sei doch „sehr merkwürdig“.
Baum führte aber auch praktische Gründe an. „Es geht auch um Abläufe“, so der frühere Innenminister. „Was wäre denn, wenn die Passagiere es noch geschafft hätten, den Terroristen zu überwinden?“ Oder wenn der Pilot „im letzten Moment das Stadion verfehlt“? Dann hätte man mit dem Abschuss ohne Not „ein Trümmerfeld“ geschaffen.
Die abwägende Kirchenfrau
Weiß die Kirche, weiß die Religion einen Weg aus der moralischen Zwickmühle? Nicht wirklich. Es sei „eine zutiefst teuflisch-tragische Situation“, bilanzierte die designierte evangelische Bischöfin Petra Bahr aus Hannover – und kreierte damit wohl die Formulierung des Abends. Der Bundeswehrpilot im Film habe lediglich „zwischen falsch und falscher“ entscheiden können.
Das Recht, so Bahr weiter, komme in dem geschilderten Fall „an seine Grenzen“, und das gleiche gelte für „den einzelnen Menschen mit seiner Gewissensprüfung“. Bahr: „Da kommt niemand mit moralisch weißer Weste wieder heraus.“
Der wütende Ex-Kampfpilot
Wohl keiner in der Runde konnte sich so gut in den Film-Piloten hineinversetzen wie Thomas Wassmann. Der Soldat hat selbst als Kampfjet-Pilot in der Bundeswehr gedient, er kennt die düsteren Gespräche im Kollegenkreis, nach dem Motto „Was würdest du tun, wenn..?“.
An diesem Abend zielte Wassmann vor allem auf die Politiker: „Die Politik lässt die Piloten im Stich.“ Seit zehn Jahren, seit das Verfassungsgericht 2006 das Urteil gekippt hat, hätte sie das Thema nicht mehr angefasst. „Aber wir müssen doch handlungsfähig bleiben!“, flehte Wassmann förmlich. Letztlich, so sein bitteres Resümee, bleibe „die Verantwortung auf den Schultern des Piloten“.
Das Fazit
„Hart aber fair“ lieferte eine kontroverse, tiefgründige Diskussion zu einer höchst verzwickten Frage. Abschuss oder nicht? Wer sich ernsthaft an diese Frage heranwagt, wird schnell merken, dass er nicht ohne Schuld davonkommt – egal, ob er zu den 87, oder zu den 13 Prozent gehört.