ARD-Korrespondentin Tina Hassel über ausländische Medien im US-Wahlkampf, Quellen in Washington und mögliche Szenarien zum Wahlausgang.

Tina Hassel, 48, ist Leiterin des ARD-Studios in Washington. Mit dem Abendblatt sprach die Journalistin über ihre Erfahrungen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf.

Hamburger Abendblatt: Frau Hassel, seit dem 1. Juli sind Sie in Washington. Wären Sie gern früher gekommen?

Tina Hassel: Hier kann man gar nicht früh genug hinwechseln. Aber ich habe schon das Gefühl, dass ich rechtzeitig zum Auftakt des Präsidentschaftswahlkampfs vor Ort gewesen bin.

Wie konnten Sie in so kurzer Zeit die nötigen Kontakte knüpfen?

Hassel: Wegen der Kontakte hatte ich mir anfangs Sorgen gemacht. Tatsächlich ist es in der heißen Wahlkampfphase aber relativ einfach, wichtige Leute kennenzulernen. Ich war jetzt viel unterwegs im Land und habe dabei festgestellt, dass in so einer spannenden Zeit Kontakte zu den US-Kollegen und den hier sehr wichtigen politischen Denkfabriken sich sehr leicht aufbauen lassen. An die Strippenzieher im Weißen Haus kommen wir als ausländische Journalisten während des Wahlkampfs allerdings nicht ran.

Sprechen US-Politiker gern mit dem deutschen Fernsehen?

Hassel: Da muss man sich nichts vormachen. Ausländische Medien spielen hier die zweite, wenn nicht gar die dritte Geige, insbesondere in Zeiten, in denen die Politiker um jeden noch unentschlossenen amerikanischen Wähler buhlen. Obama ist ohnehin sehr zurückhaltend. Alle seine Amtsvorgänger haben deutschen Fernsehsendern Einzelinterviews gegeben. Das hat er nie gemacht. An die Berater der Top-Politiker kommen wir aber ran, obwohl das in Wahlkampfzeiten etwas schwieriger ist.

Wie haben Sie aus der Ferne Obama und Romney im Wahlkampf erlebt?

Hassel: Ich war bei den Parteitagen von Demokraten und Republikanern. Da ist man relativ nah dran. Romney habe ich auch bei den Vorwahlen in Florida erlebt. Ich halte ihn für einen sehr ernst zu nehmenden Kandidaten, der keineswegs die kalt berechnende Heuschrecke ist, als die ihn die Gegenseite gern darstellt. Er hat eine ganz eigene Ausstrahlung. Ich habe ihn aber auch als jemanden erlebt, der Probleme hat, wenn er spontan reagieren muss. Er sucht und findet jedes Fettnäppchen. Deshalb stellt er sich seit einigen Wochen nicht mehr spontanen Fragen.

Und Obama?

Hassel: Er hat selbst auf dem Parteitag gesagt: "Die Zeiten haben sich geändert, und ich habe mich geändert." Das stimmt. Er ist in den vier Jahren seiner Amtszeit nüchterner geworden. Er ist ein Pragmatiker, der nicht mehr von großen Visionen spricht, sondern darum bettelt, ihm eine zweite Amtszeit zu gewähren, damit er sein Werk zu Ende bringen kann. Seine Erfolge, wie etwa die Gesundheitsreform, kann er schlecht verkaufen. Er ist ein schlechter Redner in eigener Sache. Da muss dann Bill Clinton ran, der die Menschen ganz anders erreicht als Obama.

US-Medien sind Ihre wichtigsten Quelle?

Hassel: Ja, aber auch die bereits erwähnten Denkfabriken, die sogenannten Thinktanks: Dort arbeiten ehemalige Regierungsberater, die darauf warten, nach der nächsten Wahl wieder in ihre alten Jobs zu kommen. Das sind schon exzellente Quellen.

Wie unterscheiden sich Wahlkämpfe in den USA von denen in Deutschland?

Hassel: Wahlkämpfe hier sind große Inszenierungen. Da müssen die Familien beider Kandidaten, insbesondere deren Ehefrauen, in einer Art und Weise mit ran, die man sich im deutschen Wahlkampf nicht in den kühnsten Träumen vorstellen könnte. In den wahlentscheidenden TV-Duellen geht es auch um Inhalte, vor allem aber um Performance und um die Persönlichkeit. Die Parteien spielen dagegen kaum eine Rolle.

Wer wird die Wahl gewinnen?

Hassel: Es ist so knapp geworden. Vor ein paar Tagen hätte ich gesagt, eher Romney. Jetzt aber wirbelt der Hurrikan "Sandy" den Wahlkampf auf. Das könnte Obama helfen. Es kann passieren, dass Obama zwar nicht die Mehrheit der Wählerstimmen bekommt, wohl aber die Mehrheit der Wahlmänner. Im amerikanischen Wahlsystem ist das möglich. Aber das würde Obamas zweite Amtszeit extrem belasten.