Oda Thormeyer spielt auch in “Jeder stirbt für sich allein“ wieder eine starke Rolle. Premiere ist Sonnabend im Thalia-Theater.

Hamburg. Sie ist am Thalia-Theater zuständig für starke Frauen. Nicht für die Diven, die Zerrissenen, die im Leben Strauchelnden, Oda Thormeyer spielt jene, die mit Kraft und allen Fasern ihres Herzens große Gefüge zusammenhalten. Beziehungen, Familien, Dorfgemeinschaften. Sei es als "meine Mutter" in Handkes "Immer noch Sturm" oder als Adoptivtochter Warja in Tschechows "Kirschgarten".

Erfahrung hilft dabei. Mit vielen großen Urgesteinen der Regie hat sie gearbeitet, Jürgen Gosch, Claus Peymann, Dimiter Gottscheff, Wilfried Schulz, Luk Perceval. Soeben kommt sie von einer Probe, wieder einmal mit dem leitenden Thalia-Regisseur Luk Perceval. Am Sonnabend soll die Premiere der Romanadaption "Jeder stirbt für sich allein" nach Hans Fallada über die Bühne gehen.

"Ich verstehe Luk manchmal schon, ohne dass er etwas sagt", bekennt Oda Thormeyer. Sie hat ein schönes, warmes Organ und strahlt mit tiefblauen Augen aus ihrem Schneewittchenteint. "Ich schätze an ihm, dass er eine große Liebe zu den Menschen hat", sagt sie. "Er hat die unglaubliche Gabe, Menschen, die sonst keine Stimme haben, eine Sprache zu geben. Das ist sehr berührend."

Thormeyer spielt Anna Quangel, die mit ihrem - deutlich jüngeren - Ehemann Otto in Berlin Postkarten-Flugblätter gegen Hitler auslegt und nach einer Denunzierung in der Todeszelle landet. Die literarische Vorlage geht auf den wahren Fall des Ehepaars Otto und Elise Hampel zurück, die in den Jahren 1940 bis 1942 Widerstand leisteten. "Sie ist keine Heldin als Widerstandskämpferin, sondern handelt aus einer privaten Motivation heraus", sagt Thormeyer. "Ihr Sohn ist gefallen. Ich kann das als dreifache Mutter nachvollziehen. Da hört das eigene Leben auf. Dadurch ist sie in der Lage, ihr Leben in die Waagschale zu werfen."

Die anderen Figuren des Erfolgsromans von 1947, der sich seit seiner Neuveröffentlichung 2011 in Deutschland überraschend 160.000-mal verkaufte, sind feige Kriminelle und unterdrückte Beamte, allesamt kleine Leute. "Man könnte auch sagen 'Jeder kämpft für sich allein'. Um irgendwie da durchzukommen. Über allem steht eine massive Angst." Thormeyer selbst hat über die Auseinandersetzung mit dem Buch auch ihre eigenen Eltern und Großeltern besser verstanden. Gegen den strengen Vater, einen General, grenzte sie sich radikal ab, verließ mit 17 Jahren die Schule, um am Wiener Max-Reinhardt-Seminar zu studieren. Sie sei da so hineingefallen, sagt sie. Etwas anderes kam nicht infrage. Ein Glücksfall. Seitdem läuft es gut für Oda Thormeyer.

Tatsächlich haben die Schauspielerin und Regisseur Luk Perceval eine lange gemeinsame Geschichte. Sie reicht zurück bis zu den legendären zwölfstündigen "Schlachten", Tom Lanoyes Kondensat von Shakespeares Rosenkriegen, mit denen sich Perceval 1999 erstmals in Deutschland vorstellte und internationale Triumphe feierte. Da war sie unter anderem als Lady Anna neben Thomas Thieme zu sehen, damals noch als Ensemblemitglied am Schauspielhaus unter Frank Baumbauer. Später wechselte Oda Thormeyer unter Wilfried Schulz für zehn Jahre ans Schauspiel Hannover. Es kam zu einer erneuten Begegnung mit Luk Perceval, in dessen "Kirschgarten"-Inszenierung sie wie derzeit am Thalia die "Warja" gab. Dieselbe Rolle beim gleichen Regisseur? Warum nicht.

Zentrales Moment der Fallada-Arbeit sei die Liebe. Anders als in der Wirklichkeit. Wie gut, dass Fallada nicht alle Gestapo-Akten gelesen habe, so Thormeyer, denn dort hätte er entdeckt, dass sich die Hampels im Angesicht des Todes doch noch gegenseitig denunziert hätten. "Bei uns siegt die Liebe. Sie ist eben größer. Und das ist eine wichtige Botschaft." Um die zu transportieren, baut Luk Perceval auf sparsame Mittel, mehr Epik und weniger Konzept. "Er möchte eine Geschichte über Menschen erzählen", so Thormeyer. Das tue er nur mit einem Tisch. Das Theater, es findet zunehmend im Kopf statt, der Zuschauer ist aufgefordert, seine eigenen Projektionen zu entwickeln. Wie gut, dass es dafür Schauspieler wie Oda Thormeyer gibt.

"Jeder stirbt für sich allein" Premiere Sa 13.10., 19.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Karten 13,50 bis 66,- unter T. 32 81 44 44 oder unter www.thalia-theater.de