Hamburg. Der Schriftsteller legt mit „Herkunft“ ein großartiges Werk über das Thema Heimat vor. Ein Zahnarzt in Badehose kommt auch vor.

Der bosnische Junge ist noch nicht lange in Deutschland, ein paar Monate erst. Deutsch kann er erst in Bruchstücken. Zuhause ist Krieg. Der Vater erst einmal in Višegrad geblieben, der Großmutter wegen. Dabei hat die große Fragmentierung längst begonnen. Jugoslawien zerfällt, Biografien zersplittern, Familien brechen auseinander. Es ist ein heißer Herbsttag. Als er mit seiner Mutter zwei Monate vor der Schlossruine der urromantischen Stadt stand, regnete ihn Deutschland voll. Jetzt also: ein später Sommer. Der Junge, oder besser: der Teenager, lernt in Heidelberg-Emmertsgrund einen älteren Nachbarn kennen. Einen Mann mit Schnurrbart und wenig Klamotten auf dem Leib. „Muss man skeptisch werden, wenn einen Senioren in Speedo-Badehosen grüßen?“, fragt sich der Erzähler des oft so wunderbar leichten Buchs, um das es hier geht.

Ja, muss man? Im Nachhinein sowieso nicht. Der Junge, der Saša Stanišić heißt, erzählt ja aus der Gegenwart heraus. Er erzählt vom Verlieren einer Heimat, vom Finden einer neuen. Von Herkunft, die bestimmt, wer man ist. Oder eben nicht. „Herkunft“ heißt auch dieses erinnerungssüchtige, kluge, warmherzige und glorreiche Buch, das jetzt erscheint. Es handelt vom Aufbrechenmüssen und vom Ankommen, das vielleicht nie aufhört. Es umkreist eines der Themen, das in aller Munde ist. Wobei man eigentlich froh ist, dass zuletzt nicht mehr jeder Politiker, schon gar nicht von der AfD, das nicht jeder Leitartikler die Parole „Heimat!“ schrie. Saša Stanišić hat ein leises Buch geschrieben. Er hat ein Mosaik zusammengelegt, das in helleren und dunkleren Farben schimmert.