Immer mehr Schüler klagen in Zeiten von G8 und Ganztagsschule über Stress und Überforderung. Aber wie war es früher? Valentin Geiger erzählt im letzten Teil, wie es ist, heute Schüler zu sein.

Meine Schulzeit und ihre prägenden Höhen und Tiefen ins große Ganze einzuordnen, fällt mir nicht ganz leicht. Denn ich stecke noch mittendrin. Klar ist aber: Ich lebe in einer Zeit, die von sehr langen Schultagen und einem vollgestopften Lehrplan bestimmt wird, vom schnellen Austausch in sozialen Netzwerken wie Facebook und WhatsApp, von Woolrich-Jacken und UGG-Boots – aber auch Sport, Musik und ganz normalen Freundschaften, wie es sie immer schon gab.

Als ich geboren wurde, im Jahr 2000, da gab es noch eine Währung, die nannte sich D-Mark. Doch die war sehr schnell Geschichte. Ich bin mit dem Euro aufgewachsen, mit Bauernhof-Freizeiten, Spielzeugtagen und einem sehr kuscheligen Kindergarten, aber auch mit Leistungsanforderungen, die schon in der Grundschule formuliert wurden.

Heute bin ich 13 Jahre alt und besuche das altsprachliche Wilhelm Gymnasium in Hamburg. Ich gehe gern zur Schule. Das ist im Moment ja in gewisser Weise auch mein Beruf. Die Erwachsenen haben ihre Jobs, ich lerne halt, das ist meine Aufgabe – und die macht mir Spaß.

Man kann wohl sagen, dass ich ehrgeizig bin. Ich möchte möglichst immer eine sehr gute Note schreiben. Mit einer weniger guten Zensur bin ich nicht so zufrieden. Es ist nicht so, dass ich von meinen Eltern angetrieben werde. Die wollen nur, dass ich aus meinen Talenten das Beste mache. Wenn es nicht so gut läuft, bin ich mit mir selbst unzufrieden. Allerdings fällt mir das Lernen auch eher leicht. Ich gehe in eine Musikklasse, in der das Spielen in einem Orchester sehr im Vordergrund steht. Musik war mir schon früh wichtig, wohl auch, weil wir eine sehr musikalische Familie sind. Ich spiele Klavier und Trompete, habe schon bei „Jugend musiziert“ mitgemacht. Ich spiele ganz gut Trompete. Das Üben macht mir natürlich mal mehr und mal weniger Spaß. Aber ich liebe die Auftritte. Und für einen Wettbewerb muss man sich eben gut vorbereiten.

Meine Tage sind ziemlich vollgepackt und haben eine klare Struktur: Morgens stehe ich zwischen halb sieben und sieben Uhr auf. Nach dem Frühstück fahre ich mit der U-Bahn oder im Sommer mit dem Fahrrad zur Schule. Wir haben jetzt in der achten Klasse jeden Tag bis um drei Uhr Schule, nur dienstags ist anschließend noch Orchesterprobe, dann bin ich erst um halb fünf fertig. Sonst bin ich meist so um halb vier zu Hause. Zweimal in der Woche spiele ich am Nachmittag Fußball. Und dann übe ich jeden Tag Trompete und Klavier. Mit Freunden verabrede ich mich meist spontan, oder wir treffen uns gleich nach der Schule. In dem Fall übe ich am Abend Musik. Und dann sind da noch meine beiden kleineren Brüder, mit denen ich Zeit verbringe. Am Wochenende übernachte ich manchmal bei einem Freund, oder es gibt eine Party. In meiner Klasse kommen eigentlich alle ganz gut mit den anderen klar. Es ist bei uns nicht so, dass es Cliquen gäbe, die miteinander nichts zu tun haben wollen. In der Schule treffe ich meine Kumpels. Mit drei oder vier Jungs bin ich richtig gut befreundet, und die Mädels sind auch nett.

Natürlich spielen soziale Netzwerke im Schulleben bei uns eine Rolle. Weil ich immer viel vorhabe, bin ich allerdings nicht so sehr dabei wie andere Freunde. Bei Facebook bin ich zum Beispiel nicht. Wir haben aber eine Klassengruppe bei WhatsApp. Da werden den ganzen Nachmittag Fragen gestellt: Was haben wir auf? Welche Aufgabe kommt in Französisch dran? Wie geht Mathe? Ich nutze das nicht so sehr, weil ich die Antworten meist schon kenne und mir die Hausaufgaben in der Schule notiert habe.

Mein Alltag klingt vielleicht anstrengend, aber ich empfinde das meistens nicht so. Manche Klassenkameraden machen einen regelrechten Zweiwochenplan, in dem sie genau festlegen, wann sie an welchem Tag wie lange für welche Fächer lernen müssen, um alles zu schaffen und in den Arbeiten klarzukommen. Aber die machen einen Fehler, finde ich. Sie passen in der Schule nicht auf und müssen dann vieles nacharbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn man im Unterricht mitarbeitet und sich konzentriert, dann hat man zu Hause weniger Arbeit. Andere sitzen die Schulzeit ab und bereiten sich dann per Handy auf die Arbeit vor. Meine Devise ist: Wenn ich ohnehin acht Stunden am Tag in der Schule verbringen muss, dann kann ich auch was draus machen. So reicht es meist, wenn ich am Wochenende noch ein bisschen lerne.

In manchen Wochen des Jahres ballen sich allerdings die Klassenarbeiten, in dieser Zeit schreiben wir gleich zwei oder drei Klausuren in einer Woche. Das ist dann schon anstrengend. Es gibt Themen, die wir im Unterricht nicht lange behandeln und dann beim Test trotzdem können müssen. Aber wir sind ja damit groß geworden, schon in der Grundschule und dann von der fünften Klasse an auf dem Gymnasium, dass wir viel lernen müssen und der Stoff umfangreich ist. Latein zu lernen macht mir Spaß, weil es so logisch ist. Aber irgendwann reicht es dann auch. Jetzt in der achten Klasse habe ich statt Altgriechisch lieber Französisch als weitere Sprache gewählt.

Wenn ich zu entscheiden hätte, ob das Gymnasium weiterhin acht Jahre dauern oder man wieder neun Jahre Zeit dafür haben sollte? Ich weiß nicht so recht. Es ist schon cool, dass ich mit 17 Jahren Abitur machen werde. Dann habe ich anschließend mehr Zeit, wenn ich studiere. Aber vom Stress her wären neun Jahre am Gymnasium sehr viel entspannter. Schule bis ein Uhr mittags – das wäre ein Traum. So wie es jetzt ist, muss man sich schon immer sehr zusammenreißen. Denn wenn man mal ein Jahr vertändelt, ist der Stoff kaum noch aufzuholen. Also: Ich wäre unterm Strich für neun Jahre am Gymnasium.

Sorgen um meine Zukunft und wie alles einmal kommen wird, mache ich mir eigentlich nicht. Und ehrlich gesagt: auch nicht so viele Gedanken. Alles hat seine Zeit. Vielleicht werde ich Jura studieren, vielleicht Medizin – oder auch ganz etwas anderes. Meine Musik ist mir wichtig, auf eine Karriere als Berufsmusiker will ich mich aber noch nicht festlegen. Ich weiß ja, dass es nur sehr wenige Stellen gibt, und gut bezahlt sind die meist auch nicht. Beim Praktikum im kommenden Jahr will ich lieber etwas Handwerkliches machen, vielleicht in einem Fahrradladen arbeiten. Etwas, bei dem man richtig mit anpacken kann.

Ich habe ja keinen Vergleich. Aber mein Leben als Schüler gefällt mir gut. Ich kann vieles ausprobieren, das mich interessiert. Und das macht Spaß.