Die Abendblatt-Sonderausgabe zum Art Directors Club Festival zeigt, was im Tageszeitungsgeschäft möglich ist. “Weg von der Routine, heraus aus der medialen Monokultur – so etwas müsste öfter passieren.“

Hamburg. Was anders ist, ist gut. Anders als der übliche Branchentrott. Das sagt Uwe Beyer, seit November 2012 Artdirector beim Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“, auf die Frage, wie ihm die „kreative Ausgabe“ des Abendblatts gefallen habe. Am Dienstag erschien die Zeitung — nach zwölf Stunden spannender Arbeit mit führenden Hamburger Werbern und Kreativen (Johannes Plass von Mutabor, André Kemper von thjnk und Stefan Kolle von Kolle Rebbe und einem großen Team von jungen Illustratoren) – mit völlig ungewohnter Optik. Weg von der Routine, heraus aus der medialen Monokultur – so etwas müsste öfter passieren, findet Artdirector Beyer. „Die Hamburger Kreativen sollten vielleicht öfter ihre Jobs tauschen. Printmenschen sollten Werbung machen, und Werber sollten Zeitung machen.“

Welche Elemente der Abendblatt-Ausgabe gefallen ihm am besten? „Layout und Illustration harmonieren sehr gut beim Kulturaufmacher, der Elbphilharmonie“, sagt Beyer. Gelungen findet er auch den „Hamburger Kreativatlas“, die aufwendige Zahlengrafik im Wirtschaftsteil, die die breit gestreute Kreativindustrie aufschlüsselt. Sehr viel mehr möchte Beyer zur Ausgabe dann aber nicht sagen. „Das ist Kunst, und Kunst darf man nicht kritisieren.“

Beyers Kollege Johannes Erler, Artdirector beim „Stern“, findet vor allem den Spagat zwischen bekannt und unbekannt gelungen. „Das ist noch ‚Abendblatt‘ und gleichzeitig etwas ganz Besonderes.“ Man habe sich glücklicherweise nicht so weit aus dem Fenster gelehnt, dass die Zeitung nicht mehr wiederzuerkennen sei. Die Idee, eine Ausgabe komplett von Kreativen und nicht nach den üblichen Layout-Vorgaben gestalten zu lassen, zeige eben auch, „was bei Tageszeitungen heutzutage möglich ist, wenn sich jemand traut“.

Wie man Themen auf eine andere Weise informativ aufbereiten kann als mit einem langen Text, beweise der Wirtschaftsaufmacher zur Kreativstadt Hamburg mit den zahlreichen Grafikelementen, Tabellen, Diagrammen. „Der Einsatz der Illustrationen im Blatt ist mitunter auf die Spitze getrieben — aber es führt dazu, dass man Themen als Leser ganz anders wahrnimmt“, sagt Artdirector Erler. Sein Fazit: „Es lohnt sich dranzubleiben. Ich glaube, dass eine solche Aufmachung viele Zeitungsleser gut unterhält.“

Diese Meinung teilen auch Mitglieder der Hamburger Kunstszene (und Abendblatt-Leser), etwa Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums, der positiv überrascht ist vom ungewöhnlichen Layout der Zeitung. „Eine Tageszeitung, die man jeden Morgen am Frühstückstisch anschaut, eröffnet einen neuen Blick auf Altbekanntes. Das gefällt mir.“ Zudem habe eine kreative Optik beinahe automatisch Auswirkungen auf den Inhalt. Der Leitartikel „Vergesst Berlin!“, in dem die Werber Johannes Plass, Stefan Kolle und André Kemper ihre Meinung zur Kreativstadt Hamburg darlegen, sei ein Beispiel für die Art gegenseitiger Befruchtung von Optik und Text.

Dirk Luckow, Direktor der Deichtorhallen, ist besonders von der Haltung angetan, die hinter der kreativen Sonderausgabe anlässlich des Art Directors Club Festivals steckt: „Türen auf, Fenster auf, frische Luft reinlassen — das ist ganz nach meinem Geschmack.“ Darüber hinaus sei die Botschaft auch für die Hamburger Kulturszene insgesamt interessant. „Ein Experiment wie dieses zeigt auch, dass Hamburg nicht nur aus Kaufmännern und Rechtsanwälten besteht, sondern auch auf der kreativen Seite eine ganze Menge zu bieten hat.“

Die Reaktionen der Leser sowie innerhalb der Branche, die sich derzeit auf dem ADC Festival in Hamburg trifft, sind insgesamt ganz unterschiedlich — von abgestoßen bis angetan. Überwiegend lautet der Tenor: toller Akzent – aber bitte nicht jeden Tag. Dass es sich jedoch lohnt, öfter mal aus dem Alltagstrott des Zeitungmachens auszubrechen, darin sind sich viele einig. Wer wagt, gewinnt. Manchmal auch nur einen frischen Blick auf die Dinge.